Die Katze namens Eisbär
wie von Zirkusunternehmen –, aber ich wußte auch, daß ich einen Vorteil hatte: Dr. Lemmon war kein Zirkusfreund und hatte auch für die meisten zoologischen Gärten nicht viel übrig. Nach einer langen Sitzung mit ihm in Oklahoma erwirkte ich schließlich seine Zustimmung, Nim uns zu überlassen. Er knüpfte jedoch eine Bedingung daran: die »Black Beauty Ranch« müsse für immer Nims Zuhause bleiben. Nun stellte ich meinerseits eine Bedingung. Ich erklärte Dr. Lemmon, auf der »Black Beauty Ranch« sei es wie auf der Arche Noah – es sollten zwei Geschöpfe jeder Tierart da sein. Dr. Lemmon müsse uns also eine passende Gefährtin für Nim suchen.
Dr. Lemmon erfüllte die Bedingung sehr zu unserer Zufriedenheit. Er vermittelte uns eine ehemalige Zirkusschimpansin namens Sally, die über das Alter hinaus war, in dem sie noch Junge bekommen konnte, und die ihrem Temperament nach so ausgeglichen war wie Nim wechselhaft. Der Tag, an dem sie auf der Ranch ankam und Nim zum erstenmal begegnete, war aufregend und schön. Wenn es auch nicht Liebe auf den ersten Blick war, so doch Liebe nach dem ersten Biß. Gleich von diesem Tag an bewies Sally, daß sie Nim, selbst wenn er völlig außer Rand und Band war, zwar nicht behexen, aber wenigstens beruhigen konnte.
Als wir uns der Veranda von Nims und Sallys Haus näherten, sah ich schon von weitem, daß sie beide Eisbär neugierig anstarrten. Und als wir noch näher kamen, war mir klar, daß wir es hier nicht mit der typischen Zoosituation zu tun bekommen würden – in der die Besucher nach den Schimpansen grapschen. Diesmal war es genau umgekehrt – die Schimpansen wollten gern nach den Besuchern grapschen. Aber das wollte ich nicht. Ich wußte, daß Nim ein unglaubliches Gedächtnis hatte und sich an viele Erlebnisse seiner Kindheit erinnerte, und wenn ich es auch für unwahrscheinlich hielt, daß er sich jener ersten weißen Katze seines Lebens erinnern konnte, so wollte ich doch keinerlei Risiko eingehen. Aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Kaum waren wir da, holte Nim seinen Reifen und fing an, sich zu produzieren. Nachdem ich ein Weilchen gewartet hatte, bis Sally ihn beruhigt hatte, wagte ich mich mit Eisbär vorsichtig näher heran und beobachtete dabei, daß Eisbärs Blick fasziniert Nim folgte, der immer noch auf seinem Reifen herumrollte.
Plötzlich rollte Nim zu uns heran und machte sein Zeichen für »Zahnbürste.« Gehorsam ging ich mit Eisbär, seine Bürste und die Zahnpasta zu holen. Doch er schien noch etwas anderes zu wollen – er bedeutete es mir mit einem Zeichen, das ich nicht verstand. Dann fiel es mir plötzlich ein.
Nim wollte seinen Spiegel haben. Ich ging ihn holen, und nachdem ich ihn ihm gegeben hatte, sah Eisbär völlig fasziniert zu, wie Nim zuerst den Spiegel hochhielt, dann gründlich seine Zähne putzte und sich schließlich sehr höflich erbot, Eisbär die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen. Aber davon wollte Eisbär nichts wissen und verkroch sich schleunigst unter meiner Jacke.
Ich war neugierig gewesen, ob Nim bei der Begegnung mit Eisbär nicht seine alten Handzeichen wie »Ich Katze« und »Ich liebhaben« einfallen würden, aber das geschah nicht. Ich verstehe einige von Nims Zeichen, und andere auf der Ranch verstehen weit mehr als ich, aber keiner von uns macht viel Aufhebens darum. Nim versteht die menschliche Sprache so gut, daß Zeichen oft überflüssig sind. Wenn ich ihn treffe, stelle ich ihm meistens irgendeine Frage, zum Beispiel, ob er glaubt, daß es regnen wird. Dann hebt er augenblicklich den Kopf in die Höhe und schaut zum Himmel hinauf, und dann nickt er entweder oder schüttelt den Kopf, je nachdem, was er meint. Bei solchen Gesprächen erscheinen mir Zeichen wirklich überflüssig. Und uns auf der Ranch kommt es vor allem darauf an, daß Nim hier ein Leben ohne Druck und ohne Forderungen genießen kann. Wenn er Zeichen geben will, dann tut er das. Wenn nicht, dann nicht – und damit hat sich’s.
An unserem letzten Nachmittag auf der Ranch gab es für Eisbär noch Dutzende verschiedener Tiere kennenzulernen. Als erstes machte ich ihn mit einer Gruppe von Tieren bekannt, die normalerweise im Wildgehege der Ranch frei herumlaufen; diese hier jedoch waren entweder zu behindert oder hatten zu schlimme Mißhandlungen erlitten, um das noch zu können. Ich spreche von Kaninchen. Für mich sind die Kaninchen die Tiere, die Gott vergessen hat. Sie scheinen mir ihr ganzes Leben in Furcht
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