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Die Katze namens Eisbär

Die Katze namens Eisbär

Titel: Die Katze namens Eisbär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cleveland Amory
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hatte. Danach jedoch bekam er Angst vor der eigenen Courage und zog sich weit in meine schützende Jacke zurück, auch wenn er ab und zu ein Auge riskierte.
    Ich fand seine Reaktion ganz verständlich. Ziegen sind Herdentiere, man trifft selten eine allein. Eisbär fand ihre Zahl und ihre Nähe offensichtlich ziemlich überwältigend. Er hat mehr für Tiere von der feinen englischen Art übrig, die Distanz halten, solange sie ihm noch nicht in aller Form vorgestellt worden sind.
    Unsere Wildziegen stammen von der Insel San Clémente und gehören einer seltenen Art spanischer Bergziegen an. Ihre Leiden begannen, als Präsident Roosevelt im Zweiten Weltkrieg in einer Anwandlung typischen Marinefanatismus die ganze Insel San Clémente in Bausch und Bogen der Marine vermachte. Die Marine erkor die Insel unverzüglich zum Versuchsgelände, um vom Wasser und aus der Luft neue Waffen auszuprobieren – und das ging auch nach dem Krieg so weiter. Wie es den Ziegen gelang, vierzig Jahre ständiger Bombardierung zu überleben, ist ein Rätsel, das nur teilweise durch die Bodenbeschaffenheit der Insel mit ihren zerklüfteten Felsen zu erklären ist. Entscheidender war wohl ihre unglaubliche Fähigkeit, bei Angriffen augenblicklich Schutz zu finden und in Deckung zu gehen. Sie waren darin so geübt wie erfahrene Frontsoldaten.
    Über sechs Jahre lang führten wir mit der US-Marine vor Gericht und auf der Insel Krieg, um diese Tiere – mehr als fünftausend insgesamt – zu retten.
    Am letzten Abend auf der Ranch durfte Eisbär an einem Ritual teilnehmen, das sich hier jeden Abend wiederholt – der Verteilung der Betthupferl. Jedes Tier auf der Ranch bekommt abends mindestens zwei große Scheiben frisch gebackenes Proteinbrot, eine Leckerei, die uns freundlicherweise eine einheimische Bäckerei aus ihrem Ausschuß spendet. Ich werde damit häufig geneckt – man wirft mir vor, meine Tiere müßten von Wasser und Brot leben –, aber tatsächlich fressen die Tiere dieses Brot lieber als Heu, Hafer oder anderes Getreide oder sonst etwas, und selbst bei Conga und Nora sowie bei Nim und Sally erfreut es sich großer Beliebtheit.
    Die Pferde und Burros, die Maultiere und die Ziegen, die Lamas und alle anderen Tiere brauchen keine Aufforderung, um sich zu ihrem Abendimbiß einzufinden. Sobald sie das vertraute Brummen des Lastwagens hören, der von Weide zu Weide fährt, kommen sie angelaufen wie der Wind. Und es gibt dabei nicht etwa ein großes Gedränge, sondern sie versammeln sich erstaunlich ordentlich, da sie aus Erfahrung wissen, daß selbst die größten Drängler nicht mehr bekommen, als ihnen zusteht, und daß keiner, auch der Zaghafteste nicht, leer ausgeht.
    Die Tiere werden vom Laderaum des Lastwagens aus gefüttert, und an jenem Abend folgte ich mit Eisbär dem Futtermeister, als er nach hinten ging. Ich habe der Theorie, daß Katzen bei Dunkelheit genauso gut sehen wie bei Tag, immer mißtraut – schon deshalb, weil Eisbär, wenn er bei Finsternis vom Balkon ins Schlafzimmer springt, häufig irgendwo anstößt, obwohl er doch das Zimmer und seine Einrichtung genau kennt. Dennoch war ich an diesem besonderen Abend, der recht dunkel war, etwas besorgt, wie Eisbär auf all diese begierig schnappenden Mäuler reagieren würde, und darum besonders darauf bedacht, ihn fest und sicher zu halten. Aber ich sah bald, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Er war inzwischen an den Umgang mit großen Tieren gewöhnt.
    Weit mehr als die Tiere schien ihn der Mann zu interessieren, der sie fütterte. Immer wieder sah er zu ihm auf, und als der Mann zu ihm hinunterblickte, sah er sofort mich an.
    »Ich weiß, was er will«, sagte der Mann. »Er will auch was haben.«
    Ich erwiderte, ein wenig besserwisserisch, wie ich zugeben muß, daß er sich da irre. Katzen, sagte ich, fräßen kein Brot. Daraufhin brach der Mann eine Brotscheibe in katzengerechte Happen und legte sie auf seine offene Hand. Nein, sagte ich wieder. Das ist sinnlos. Ich kenne doch Eisbär. Der rührt das Brot nicht an.
    Aber der Mann hatte seinen eigenen Kopf. Ohne auf meine Einwendungen zu achten, bot er Eisbär das Brot an. Und was tat Eisbär? Raten Sie mal.
    Sie haben recht – und ich sage Ihnen, er schnappte das Brot sogar einem großen Mustang weg, der auch an die Krippe wollte. Eisbär hat eben auch seinen eigenen Kopf. Nicht nur tut er nie, was ich will – er tut auch nie nicht, was ich den Leuten sage, das er nicht tut – sogar wenn es etwas ist,

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