Die Katze
wiesen.
»Wo ist mein Bruder?«, fragte Charley noch einmal. Glen McLaren saß auf einem braunen Lederhocker an der Bar, den Sportteil der Morgenzeitung aufgeschlagen vor sich auf dem braunen Marmortresen.
McLaren war ganz in Schwarz gekleidet, etwa fünfunddreißig Jahre alt, groß und schlank, jedoch nicht ganz so gut aussehend, wie Charley ihn von ihrer letzten Begegnung in Erinnerung hatte. Bei Tageslicht wirkten seine Gesichtszüge gröber, die Nase breiter, die braunen Augen verschlafener, obwohl sie
trotzdem spürte, wie er sie mit Blicken auszog, als sie näher kam. »Miss Webb«, begrüßte er sie. »Schön, Sie wiederzusehen.«
»Wo ist mein Bruder?«
»Ihm geht es so weit gut.«
»Ich habe Sie nicht gefragt, wie es ihm geht. Ich habe gefragt, wo er ist.«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Glen, als hätte er sie gar nicht gehört. »Orangensaft vielleicht oder …«
»Ich möchte nichts trinken.«
»… eine Tasse Kaffee?«
»Ich will auch keinen Kaffee. Hören Sie, Sie haben mich angerufen. Sie haben gesagt, Sie hätten meinen Bruder.«
»Und Sie haben im letzten Monat in Ihrer Kolumne eine Menge sehr unschmeichelhafter Dinge über mich und meinen Club gesagt. Habe ich jedenfalls gehört.« Er grinste. »Ich persönlich lese Ihre Kolumne nie.«
»Dann müssen Sie sich ja auch nicht übermäßig echauffieren.«
»Leider haben viele Leute, darunter unser geschätzter Bürgermeister und der Polizeichef, keinen so differenzierten Geschmack wie ich. Ich habe in den letzten Wochen sehr viel unerwünschte Aufmerksamkeit bekommen.«
»Das tut mir leid.«
»Wirklich?«
»Nein, eigentlich nicht. Was hat all das mit meinem Bruder zu tun?«
»Nichts. Ich mache nur Konversation.«
»Ich bin nicht an Konversation interessiert, Mr. McLaren.«
»Glen«, verbesserte er sie.
»Ich bin nicht an Konversation interessiert, Mr. McLaren«, wiederholte Charley und hievte ihre große, beige Umhängetasche auf die andere Schulter. »Ich bin daran interessiert, meinen Bruder zu finden. Wollen Sie mir nun sagen, ob Sie ihn haben oder nicht?«
»Ja, ich will.« McLaren grinste einfältig. »Gott, als ich das zum letzten Mal gesagt habe, hat es mich ein Vermögen gekostet.« Er senkte das Kinn und hob kokett den Blick. »Was - nicht einmal ein kleines Lächeln? Ich versuche, charmant zu sein.«
»Warum?« Charley sah sich in dem Raum um, sah jedoch nur einen Kellner, der die Tische auf der anderen Seite der Tanzfläche abwischte.
»Warum ich versuche, charmant zu sein? Oh, ich weiß nicht. Weil Sie eine schöne Frau sind? Weil Sie eine Reporterin sind? Weil ich Sie umstimmen will? Oder vielleicht auch nur rumkriegen.«
Charleys ungeduldiger Seufzer hallte in dem leeren Lokal wider. »Ich stehe nicht auf Racheficks, Mr. McLaren.«
Glen zuckte die Achseln, und sein Blick schweifte zum Sportteil seiner Zeitung zurück. Wenn er von ihrer Wortwahl schockiert war, ließ er es sich nicht anmerken. »Seltsam, wo sich doch offenbar so viele Leute von Ihnen und Ihrer Kolumne gefickt fühlen.«
Er war fix, dachte Charley, das musste sie ihm lassen. »Ich nehme an, das wird Ihnen eine Lehre sein, nicht mit Reporterinnen zu reden.«
»Nur dass ich, wie Sie sich vielleicht erinnern, bei unserer letzten Begegnung keine Ahnung hatte, dass Sie Reporterin sind. Ich wusste nicht mal, dass es die WEBB SITE gibt. Cleverer Titel für eine Kolumne übrigens.«
»Danke.«
»Ich hatte lediglich den Eindruck, mit einer schönen jungen Frau zu sprechen, die ich unbedingt beeindrucken wollte.«
»Womit Sie sofort aufgehört haben, als Ihnen klar wurde, dass ich nicht mit Ihnen ins Bett steigen würde.«
»Ich bin ein Mann, Charley. Gespräche interessieren mich nur bedingt.«
»Und warum reden wir dann jetzt?«
Glen lächelte erneut - etwas, was er beunruhigend regelmäßig tat -, wobei sich jedes Mal kleine Fältchen um seine schläfrigen braunen Augen bildeten. »Ich amüsiere mich bloß und spiele ein bisschen mit Ihnen«, gab er zu.
»Ich mag es nicht, wenn man mit mir spielt.«
»Ging es bei Ihrem kleinen cholerisch-literarischen Wortanfall also eigentlich nur darum? Sie hatten das Gefühl, dass man mit Ihnen spielt, und das hat Sie verletzt?«
»Es geht hier nicht um verletzte Gefühle«, sagte Charley und versuchte, sich nicht zu sehr an dem Ausdruck »kleiner cholerisch-literarischer Wortanfall« zu freuen. »Und das war auch ganz bestimmt nicht der Grund, warum ich heute Morgen meinen Arbeitsplatz verlassen und
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