Die Katze
ganze Brontë-Geschichte benutzen könnte.«
»Was?«
»Emily findet die Idee großartig. Hat man dich noch nicht angerufen?«
»Nein. Noch nicht. Also, warum ich angerufen habe … ich
wollte mich bloß für das Buch bedanken. Es war sehr nett von dir, mir ein Exemplar zu schicken.«
»Oh ja. Das war die Idee meiner PR-Agentin. Sie dachte, dass du es vielleicht in deiner Kolumne erwähnst. Ich habe ihr erklärt, dass du es wahrscheinlich nicht mal lesen würdest. Hast du?«
»Noch nicht, aber ich will am Wochenende damit anfangen.«
»Ja, sicher.«
»Ich hab gehört, es ist richtig gut«, wich Charley aus.
»Alle sagen, es wäre mein Bestes.«
»Platz neun.«
»Ab nächster Woche sogar Platz sechs.«
»Das ist wundervoll.«
»Alle sind sehr zufrieden.«
»Das sollten sie auch sein.«
»Ich bin für die kommenden zwei Monate mit Lesungen ausgebucht.«
»Wirklich? Kommst du dabei vielleicht auch in meine Richtung?«
»Kann sein. Ich habe den genauen Terminplan nicht im Kopf.«
»Ruf mich an, sobald du etwas weißt.«
»Warum?«
Die Frage war ebenso schlicht wie stechend. »Ich dachte, wir könnten uns vielleicht treffen«, fuhr es Charley heraus, während sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie sich zum letzten Mal gesehen hatten.
Wieder entstand eine Pause, die bisher längste von allen.
»Vielleicht. Sorry, ich muss jetzt Schluss machen. Danke für den Anruf.«
»Danke für das Buch.«
»Viel Spaß«, sagte Anne und legte auf.
»Viel Spaß«, wiederholte Charley, legte den Hörer auf die
Gabel, schloss die Augen und versuchte den genauen Punkt zu bestimmen, an dem der langsame, stetige Zerfall ihrer Familie seinen Anfang genommen hatte. Ihr Vater würde die Schuld zweifelsohne ihrer Mutter geben, weil sie die Familieneinheit mit ihrem Weggehen irreparabel beschädigt hatte. Ihre Mutter würde ebenso sicher dagegenhalten, dass es Robert Webbs Kälte gewesen sei, die sie in fremde Arme getrieben hat. Dass es sich dabei um die Arme einer Frau gehandelt hatte, habe die Flamme der Wut bei ihrem Vater nur weiter geschürt.
Es hätte nicht so kommen sollen.
Oberflächlich betrachtet waren Robert und Elizabeth Webb das perfekte Paar gewesen, gut aussehend und gebildet, jung und verliebt. Selbst ihre Namen passten perfekt zueinander, vor allem für einen renommierten Professor für englische Literatur. Robert und Elizabeth, genau wie Browning und seine Frau Elizabeth Barrett Browning, die beiden berühmten romantischen Dichter. Wie wunderbar angemessen, hatten sie gescherzt. Aber Robert Webb hatte sich als alles andere als ein Romantiker erwiesen, und Elizabeth hatte schon bald gemerkt, dass sie sich in einen Robert verliebt, jedoch einen Bob geheiratet hatte.
Innerhalb von acht Jahren bekamen sie vier Kinder. Charlotte kam als Erste - Charlotte’s Web war das Lieblingskinderbuch ihrer Mutter gewesen, und einem so feinsinnigen Wortspiel konnte eine Liebhaberin der englischen Literatur nicht widerstehen -, zwei Jahre später gefolgt von Emily und noch einmal zwei Jahre später von Anne. »Unsere eigenen Brontë-Schwestern«, hatte ihre Mutter jedem erklärt, der es hören wollte. Und dann kam der Junge, auf den ihr Vater die ganze Zeit gehofft hatte. Ihre Eltern hatten ernsthaft erwogen, ihn nach dem einzigen Bruder der Brontë-Schwestern Bramwell zu nennen, aber da Bramwell im Gegensatz zu seinen berühmten Schwestern in allem, worin er sich versucht hatte, ein totaler Versager gewesen war, hatten sie sich auf Bram geeinigt, nach Bram Stoker, dem Autor von Dracula , dem Blut saugenden
Grafen. Doch dieser Namenswechsel hatte nichts genützt. So wie die Webb-Schwestern dem Beispiel ihrer berühmteren Namensschwestern gefolgt waren, so hatte auch Bram seinen Part erfüllt und es in Bramwells Fußstapfen nie weit in irgendetwas gebracht. »Das ist mein Schicksal«, sagte er gerne, wenn er Bramwells Alkohol- und Drogensucht als Inspiration für seine eigene anführte.
Wieder griff Charley zum Telefon. Sie könnte Bram anrufen, überlegte sie, obwohl ein Gespräch mit ihrem jüngeren Bruder immer ziemlich frustrierend und sie für diesen Tag schon frustriert genug war. Vor allem nachdem Bram sich am Wochenende nicht hatte blicken lassen, obwohl sie im Urlaubsverkehr - in Südflorida dauerte die Touristensaison von Dezember bis März - den ganzen Weg nach Miami gefahren war, nur um dort eine leere Wohnung und keine Spur von ihrem Bruder vorzufinden.
Früher hätte sie das wahrscheinlich beunruhigt,
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