Die Katze
ganz dieselbe Liga wie ›Gangster‹«, korrigierte Charley ihn.
»Autsch.« Glen griff sich an die Brust, als wäre er tödlich verletzt.
» Sind Sie ein Gangster?«, fragte Charley nur Sekunden später, unwillkürlich neugierig.
»Ganz unter uns? Versprechen Sie mir, dass ich über diese Unterhaltung nicht nächste Woche in der Zeitung lesen werde?«
»Ich dachte, Sie lesen meine Kolumnen nie.«
Glen lächelte. »Ich bin kein Gangster.« Er blickte auf ihren schlafenden Bruder. »Macht er so was öfter?«
»Das geht Sie nun wirklich nichts an.«
»Nein, aber es ist mein Sofa. Sie könnten zumindest versuchen, nett zu tun, bis er aufwacht.«
»Tut mir leid. Nett tun war noch nie meine Stärke.«
»Warum überrascht mich das bloß nicht?«
»Weil Sie ein Mann von großer Intelligenz und rascher Auffassungsgabe sind. Wie finden Sie das als Versuch im Netttun?«
»Ein bisschen plump.«
»Machen Sie doch, was Sie wollen.«
»Heißt das, dass Sie es sich vielleicht noch mal überlegen, mit mir zu schlafen?«
»Keine Chance.«
Ein weiterer Blitz. Ein weiterer Donner.
»Das Gewitter kommt näher«, bemerkte Glen.
»Super«, sagte Charley sarkastisch. »Ich bin schon immer gerne im strömenden Regen über die I-95 gefahren.«
»Ich glaube, dass Sie zumindest noch ein Weilchen nirgendwo hinfahren werden.«
Charley blickte vom Fenster zu ihrem Bruder, der jetzt friedlich neben ihr schnarchte. »Super«, sagte sie noch einmal.
»Wollen Sie sich das mit dem Kaffee noch mal überlegen?«
»Warum sind Sie so nett zu mir?«
»Haben Sie ein Problem damit, wenn Menschen nett zu Ihnen sind?«
Charley warf die Hände in die Luft, eine Geste der Kapitulation, die der der gesichtslosen Bronzestatuen im Nebenraum nicht unähnlich war. »Klar, lassen Sie uns Kaffee trinken«, sagte sie. »Warum auch nicht?«
»Warum auch nicht?«, ließ sich Glen wie ein Echo vernehmen und ging zur Tür. »Wie nehmen Sie Ihren Kaffee?«
»Schwarz.«
»Das hatte ich mir fast gedacht. Bin sofort zurück«, sagte er, während im selben Moment am Himmel ein weiterer Blitz zuckte, unmittelbar gefolgt von einem spektakulären Donnerkrachen.
»Du verpasst ein ziemlich imposantes Schauspiel«, erklärte Charley ihrem schlafenden Bruder und trat ans Fenster. Sie öffnete die Schlitze der Jalousie und starrte auf die Sintflut. Regen in Florida war wie nirgendwo sonst auf der Welt, dachte sie, als riesige Tropfen wie wütende Fäuste an die Fensterscheiben schlugen. Er kam unbarmherzig über einen, fegte alles aus dem Weg und machte einen blind. Wenn sie losgefahren wäre, hätte sie anhalten und das Schlimmste abwarten müssen.
Und wäre das wirklich unbequemer, als im Büro des Mannes zu warten, den sie in der Zeitung als »Möchtegern-Gauner« verunglimpft hatte, während ihr Bruder auf der roten Samtcouch desselben Mannes seinen Rausch ausschlief? »Warum tust du mir das an?«, fragte sie Bram, als ein weiterer Blitz am Himmel zuckte und ihren verbeulten silbernen Camry neben Brams altem, makellos gepflegtem, dunkelgrünem MG auf dem Parkplatz erleuchtete. »Du hast diesen Wagen immer mehr geliebt als alles andere auf der Welt«, murmelte sie, während ein weiterer Donnerschlag das Gebäude erschütterte. »Mein Gott, Bram. Was ist bloß los mit dir? Warum vermasselst du immer alles?« Sie kehrte zu dem Sofa zurück und setzte sich neben ihn. »Bram, wach auf. Los. Schluss mit dem Scheiß. Zeit, erwachsen zu werden und nach Hause zu gehen. Los komm, Bram«, sagte sie noch einmal. »Genug ist genug.«
Bram sagte nichts, auch wenn seine langen Wimpern provokant flatterten, als ob er sich mit ein paar wohl gewählten Worten überreden lassen könnte, die Augen aufzuschlagen.
»Bram«, sagte Charley ungeduldig und stupste ihn an. »Bram, kannst du mich hören?«
Nach wie vor keine Reaktion.
»Du kannst nicht immer so weitermachen, Bram«, dozierte Charley. »Du kannst nicht ständig Scheiße bauen und dann erwarten, dass irgendjemand dich rettet. Und du wirst auch nicht jünger«, fügte sie hinzu, obwohl er mit vierundzwanzig wohl kaum ein Kandidat fürs Seniorenheim war. »Es wird Zeit, dass du endlich erwachsen wirst.« Sie seufzte. Im Grunde hatte ihr Bruder das Leben schon vor ziemlich langer Zeit aufgegeben. »Unsere Mutter hat heute Morgen angerufen«, fuhr sie fort und erinnerte sich daran, dass ihr Bruder von allen vier Geschwistern scheinbar am besten damit zurechtgekommen war, dass ihre Mutter sie verlassen hatte.
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