Die Katze
»Vielleicht sogar mehr als ein bisschen«, fügte sie hinzu. Stimmte das? Oder sagte sie es nur, um Pam zu entwaffnen und sich ihr Vertrauen zu erschleichen? »Waren Sie als Kind eifersüchtig auf Jill?«
»Ja«, antwortete Pam schlicht. »Ich habe sie gehasst.«
»Das ist ein ziemlich starkes Wort.«
»Mag sein. Sie war einfach so hübsch und sah aus wie ein Engel, und alle haben immer einen Riesenwirbel um sie gemacht. Das habe ich ihr nicht gegönnt. Sie brauchte bloß zu lächeln und durfte machen, was sie wollte. Mein Vater hat sie immer sein kleines Törtchen genannt. Sogar Ethan hätte ihr einen Mord durchgehen lassen.« Pam hielt inne, möglicherweise betroffen von ihrer eigenen Wortwahl. »In der Schule war es das Gleiche«, fuhr sie nach einer Pause fort. »Die Jungen umschwärmten sie wie die Fliegen. Darauf war ich ziemlich eifersüchtig. Ich war immer schüchtern und nervös, wenn’s um Jungs ging. Einmal habe ich sie wegen eines Jungen, den ich
mochte, um Rat gefragt. Er hieß Daniel Lewicki. Sie hat gelacht und gesagt: ›Sei gemein, dann bleiben sie dein. Beachte sie nicht, dann sind sie erpicht.‹ Aber das konnte ich nie. Jill hat gesagt, ich wäre ein hoffnungsloser Fall. Sie hat gesagt, dass ich keinen Freund verdient hätte und dass sie mir Daniel ausspannen würde. Und das hat sie auch getan.«
»Sie hat Ihnen tatsächlich den Freund ausgespannt?«
»Na ja, wir hatten ja eigentlich nie ein richtiges Date.«
»Aber Sie mochten ihn, und Jill wusste das.«
»Es war keine große Sache. Außerdem hatte sie recht - sie hat ihn behandelt wie Dreck, und er kam immer wieder an, um sich noch mehr davon abzuholen.«
»Was ist mit Wayne Howland?«, fragte Charley.
»Der Pfarrerssohn? Was ist mit ihm?«
»Soweit ich weiß, standen er und Jill sich ziemlich nahe.«
»Sie waren Freunde. Aber dann hatten sie irgendeinen Streit, und er kam nicht mehr.«
»Wissen Sie, was der Grund für dieses Zerwürfnis war?«
»Nein, aber Jill konnte unglaublich stur sein. Es lief entweder so, wie sie es wollte, oder gar nicht. Vielleicht hatte Wayne nach einer Weile die Faxen einfach dicke.«
Charley versuchte das Bild von Jill, das Pam zeichnete, mit Alex’ Sicht seiner Mandantin als einer jungen Frau in Einklang zu bringen, die von jedem Mann in ihrem Leben missbraucht und manipuliert worden war. »Was empfinden Sie heute für Jill?«
»Sie tut mir leid.«
»Weil sie im Gefängnis ist?«
»Weil sie leidet.«
»Wie kommen Sie darauf, dass sie leidet?«
»Wie sollte es anders sein?«
»Wegen der Dinge, die sie getan hat?«
»Niemand ist ohne Schuld«, sagte Pam kryptisch.
»Wie meinen Sie das?«
Es entstand eine lange Pause. »Jill sind Dinge zugestoßen«, sagte Pam schließlich zögernd, »die ich hätte verhindern können, Dinge, die ich hätte tun sollen.«
»Zum Beispiel?«
Pam schüttelte langsam den Kopf und schwieg.
»Was hätten Sie verhindern können?«
Pam rutschte auf ihrem Platz hin und her und sah aus, als würde sie überlegen, aus dem Zimmer zu rennen.
»Jill hat mir von Ethan erzählt«, sagte Charley langsam. »Davon, was er ihr angetan hat.« Sie griff nach Pams Hand auf dem Kissen. »Davon, was er Ihnen angetan hat.«
Pam zog ihre Hand weg, als hätte sie sich verbrannt, verschränkte die Arme vor der Brust und begann, ihren Oberkörper sanft hin und her zu wiegen.
»Wie alt waren Sie, als der Missbrauch begann?«
»Ich will nicht darüber reden.«
»Okay.« Charley gab vor, aus ihren Notizen vorzulesen. »Können Sie dann zumindest einige Details bestätigen?«
Pam sagte nichts und wiegte ihren Körper weiter hin und her.
»Jill hat gesagt, Sie wären an Ihrem zehnten Geburtstag nach Disney World gefahren …«
»Ich möchte wirklich nicht darüber reden.«
»Und dass sie ein Zimmer mit Ihnen und Ethan hatte. Sie und Jill haben in dem einen Bett geschlafen, Ethan in dem anderen. Ist das richtig?«
Pam nickte. Sie hatte am ganzen Leib zu zittern begonnen.
»Und in der Nacht hat Ethan sie in sein Bett getragen und ist zu Ihnen unter die Decke geschlüpft. Jill hat gesagt, sie hätte Sie weinen und flehen hören, er solle aufhören, und am nächsten Morgen wäre Blut auf den Laken gewesen.«
»Ich kann das nicht«, sagte Pam.
»Wäre es vielleicht leichter, wenn ich nicht hier wäre?«, fragte Alex.
Der Klang seiner Stimme ließ Charley zusammenzucken. Sie hatte ihn ganz vergessen.
»Vielleicht könnten Sie kurz nach meiner Mutter sehen, wenn es Ihnen nichts
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