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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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nicht vielleicht die Ursache für die Schwindelanfälle anderer Reisender und die daraus erwachsenden, absurden Geschichten über die Dunkel−Dürren zu sehen war, mit denen sie das Verschwinden jener Kletterer erklärten, die von diesen gefahrvollen Pfaden abstürzten. Die Erzählungen der Reisenden beeindruckten ihn nicht sonderlich, und für den Fall, daß es Schwierigkeiten geben sollte, trug er einen guten Krummsäbel bei sich. Alle nebensächlichen Gedanken verloren sich in dem Wunsch, jenes gemeißelte Gesicht zu sehen, das ihn möglicherweise auf die Spur der Götter oben auf dem unbekannten Kadath setzte.
    In der furchtbaren Kälte der oberen Bergregion schließlich fand er sich der geheimnisumwitterten Seite des Ngranek gegenüber, und sah in unendlichen Abgründen unter sich die kleinen Klippen und sterilen Lavaschlünde, die vom alten Zorn der Großen kündeten. Nach Süden zu dehnte sich eine gewaltige Landfläche; aber die Gegend war wüst und ohne freundliche Felder oder Cottagekamine, und sie schien kein Ende nehmen zu wollen. In dieser Richtung fehlte jede Spur vom Meer, denn Oriab ist eine große Insel. In den fast vertikalen Abstürzen gähnten weiterhin zahllose schwarze Kavernen und unheimliche Spalten, aber für einen Kletterer waren sie unerreichbar. Oben ragte jetzt ein mächtiger Felsüberhang, der den Blick versperrte, und Carter wurde einen Moment lang von der Furcht befallen, daß er unüberwindlich sei.
    In dieser windgepeitschten Ungewißheit, Meilen über der Erde, mit nichts als leerem Raum und Tod auf einer und glatten Felswänden auf der anderen Seite, durchlebte er für Augenblicke die Angst, die die Menschen die verborgene Seite des Ngranek meiden läßt. Umkehren konnte er nicht, denn die Sonne stand bereits tief am Horizont. Führte kein Weg hinauf, würde ihn die Nacht noch immer hier kauern finden und die Morgenfrühe gar nicht mehr.
    Aber es gab einen Weg, und er entdeckte ihn rechtzeitig. Nur ein äußerst erfahrener Träumer hätte diese unmerklichen Felsvorsprünge zu nutzen verstanden, doch für Carter reichten sie aus. Nachdem er den überhängenden Felsen bezwungen hatte, stellte er fest, daß der darüberliegende Hang wesentlich leichter war, als der untere, denn das Abschmelzen eines großen Gletschers hatte einen großzügig bemessenen, von Simsen überzogenen 34
    Lehmbodenstreifen zurückgelassen. Linkerhand fiel eine Steilklippe aus unabsehbaren Höhen senkrecht in unabsehbare Tiefen; der schwarze Mund ihrer Höhle lag über ihm und außer Reichweite. An anderen Stellen jedoch wich der Berg stark zurück und ließ Carter sogar Platz, um sich anzulehnen und auszuruhen.
    Der Frost bewies ihm, daß er sich dicht unterhalb der Schneegrenze befinden mußte, und er blickte nach oben, um zu sehen, welche glitzernden Gipfelzinnen im späten, rotgoldenen Sonnenlicht leuchten würden. Richtig, dort oben erstreckten sich die Schneefelder unzählige tausend Fuß weit, und unter ihnen klebte eine ebensolche große, vorspringende Klippe, wie er sie gerade überstiegen hatte; mit kühn geschwungenen Umrissen hing sie dort für alle Zeiten. Und als er die Klippe sah, keuchte er und schrie laut auf und klammerte sich in Schrecken an den zerklüfteten Felsen; denn die titanische Ausbuchtung hatte nicht die Form bewahrt, die sie im Anfang der Erde erhalten hatte, sondern glühte im Sonnenuntergang rot und bestürzend mit den gemeißelten und polierten Zügen eines Gottes.
    Streng und entsetzlich leuchtete das Gesicht, über das der Sonnenuntergang sein Feuer goß. Wie riesig es war, wird nie jemand ermessen können, doch Carter wußte sofort, daß es niemals von Menschenhand geformt sein konnte. Es war ein Gott, von den Händen der Götter gemeißelt, und er blickte erhaben und majestätisch auf den Sucher herab. Die Gerüchte hatten es als fremdartig und unverwechselbar beschrieben, und Carter erkannte, daß dies tatsächlich stimmte; denn die engen Augen, die großen Ohrläppchen, die schmalrückige Nase und das spitze Kinn, all dies deutete nicht auf eine Rasse von Menschen, sondern von Göttern hin.
    Furchtgepackt hing er nun in dieser luftigen und gefahrvollen Höhe, obwohl ihm nur das begegnete, was er erwartet hatte und zu finden gekommen war; denn das Gesicht eines Gottes birgt mehr Wunder als sich prophezeien läßt, und ist dies Gesicht gewaltiger als ein Tempel und blickt bei Sonnenuntergang in der scyptischen Stille der Hochregion, aus deren schwarzer Lava es ehedem divin

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