Die Kaufmannstochter von Lübeck
wusste um die entscheidende Bedeutung dieser Festung. Nicht umsonst hatte er sie in den Jahren, seit er den Ort den Schweden weggenommen hatte, massiv verstärkt und ausgebaut. Stärker als jede andere Befestigungsanlage seines Reiches war sie nun – und das galt selbst für seinen Königssitz in Roskilde.
Zusammen mit weiteren Söldnern, die in Lübeck angeworben worden waren, kam auch ein Mann an Land, dem die hinter ihm liegende Seefahrt nicht so gut bekommen war. Herward von Ranneberg wirkte blass und im Gang unsicher. Sein falkenhafter Blick glitt über die Gebäude der Stadt. Ihm gehörte noch ein Lagerhaus und ein weiteres Gebäude in Helsingborg, deren Rückgabe ihm von dänischer Seite versprochen worden war, wenn er seinen Teil der Vereinbarungen einhielt. Und zudem hatte ihn die Aussicht auf umfangreiche Handelsprivilegien gelockt, die man ihm in Roskilde versprochen hatte – namentlich war es Henning Podebusk, der Reichsdrost, gewesen, der ihm diese Zusagen verbindlich gegeben hatte.
Ob sich das noch so in die Tat umsetzen ließ, wie es einst geplant war, musste sich zeigen. Im Moment standen die Zeichen eher auf einem Sieg der Hanse. Und Herwards Gönner Waldemar war entweder noch immer im Süden oder – falls er doch zwischenzeitlich zurückgekehrt war – bereits auf der Flucht vor den Hanse-Söldnern und den Truppen des Königs von Schweden.
Möglicherweise war also der Zeitpunkt gekommen, die Seiten zu wechseln, so hatte Herward überlegt, als sich abzuzeichnen begann, mit welch gewaltiger Kriegsmacht die Hansestädte gegen Waldemar ziehen würden – und dass dessen Bemühungen um Bundesgenossen wohl allesamt mehr oder weniger vergeblich gewesen waren.
Auch deshalb hatte Herward darauf bestanden, den Bürgermeister von Lübeck auf seinem Feldzug zu begleiten. Es ging ihm darum, die Entwicklung, so gut es irgend möglich war, unter seiner Kontrolle zu halten und wenn möglich sein Gewicht in die Waagschale zu werfen, das die Entscheidung bringen konnte.
»Ihr seht so blass aus, Herward«, stellte Brun Warendorp fest. »Ich hoffe, Ihr habt während unserer bisherigen Fahrt keinen ernsthaften Schaden genommen – denn einen Medicus werdet Ihr weit und breit nicht finden.«
»Es geht schon«, versicherte Herward. Sein Versuch, Warendorp mit Hilfe von Männern wie Auke Carstens dem Älteren oder Endreß Frixlin zu stürzen und damit den ganzen hanseatischen Kriegszug zu schwächen, war gescheitert. Das musste Herward sich eingestehen. Und auch der Angriff auf Moritz von Dören hatte letztlich nicht zum gewünschten Resultat geführt. Der Einzige, der am Ende was davon gehabt hat, ist dieser gerissene Mönch Emmerhart, ging es Herward ärgerlich durch den Kopf. Der hat sich einen Großteil des von Dören’schen Vermögens unter den Nagel gerissen – auch wenn er es formal gesehen nur treuhänderisch verwaltet! – und vertreibt jetzt das Marzipan dieses falschen Venezianers auf eigene Rechnung. Geschickt von ihm eingefädelt, das muss der Neid ihm lassen.
Emmerhart wusste, wie man andere so beeinflusste, dass ihr Handeln den eigenen Interessen diente. In diesem Punkt hatte Herward durchaus noch etwas zu lernen, wie ihm selbst klar geworden war.
Herward wechselte einen Blick mit Brun Warendorp.
Für den Fall, dass Ihr jetzt noch Bürgermeister und Befehlshaber der lübischen Flotte seid, war eigentlich etwas anderes geplant gewesen, überlegte Herward, und gleichzeitig stiegen die Erinnerungen an sein Treffen mit Henning Podebusk in ihm auf, der ihn in Roskilde fast wie einen Staatsgast empfangen hatte. Herward hatte noch gut die Worte des Reichsdrosts im Ohr. »Wir sind Euch sehr zu Dank verpflichtet für die Beseitigung des Pieter van Brugsma, der unsere Interessen doch arg zu beeinträchtigen drohte. Und wir wären Euch noch viel dankbarer für die Beseitigung eines anderen, noch viel ärgeren Störenfrieds.«
Der Reichsdrost hatte nicht einmal den Namen auszusprechen brauchen. Es war mehr als deutlich gewesen, wen er damit nur meinen konnte: Brun Warendorp.
»Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich tun, was die Notwendigkeit gebietet«, hatte Herward dem Reichsdrost erwidert.
Die Gelegenheit hätte Herward inzwischen längst gehabt. Aber er war sich nicht mehr sicher, ob die Notwendigkeit noch bestand, dies zu tun, da sich das Kriegsglück zu Ungunsten desjenigen neigte, der den Meuchelmörder doch später für seine Dienste reich entlohnen sollte.
Also war es das Beste
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