Die Kaufmannstochter von Lübeck
inzwischen wie ein graues Tuch über die Stadt gelegt. Nebelschwaden zogen vom nahen Rhein hervor und waberten durch die Straßen. Die Bettler kauerten sich an Feuerstellen zusammen. Hier und da machte noch ein Gaukler seine Späße, oder ein Händler pries die Ware in seinem Bauchladen an.
»Untersteht Euch, mir zu folgen!«, gab Johanna zurück.
»Du sprichst wieder auf förmliche Weise mit mir!«
»Ich hätte nie damit aufhören sollen!«
»Johanna!«
Sie sah ihn an. »Wir sehen uns bei der nächsten Zusammenkunft der Ratsgesandten.«
»Wann sehen wir uns wieder?«
»Gar nicht!«
»Das kann unmöglich dein Ernst sein!«
»Ihr werdet Euch damit abfinden müssen, dass es mein voller Ernst ist, Frederik von Blekinge!«
Er schüttelte den Kopf, während sie sich umwandte und auf den Weg machte. Sie zog ihren Umhang enger um die Schultern und setzte die Kapuze auf. Frederik hätte sie wohl am liebsten bei den Schultern gefasst und zurückgehalten, um sie zur Rede zu stellen, aber das wagte selbst dieser kühne Mann nicht in aller Öffentlichkeit. Johanna hörte seine Schritte auf dem glatten Pflaster. Er folgte ihr.
»Warte doch!«
Sie blieb stehen. »Wir dürfen uns nicht wiedersehen, Frederik.«
»Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich sagst!«
»Ich bin keinem irdischen Herrn versprochen. Gott hat mich von der Pest heilen lassen, und ich werde mich von meinem Schwur, ins Kloster zu gehen und mich dem Dienst am Heiligen zu widmen, nicht abbringen lassen.«
»Du hast noch kein Gelübde geleistet.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Also bist du frei zu tun, was du willst.«
»Ich habe es mir geschworen. Mir, Jesus und der Mutter Maria. Und was gerade war …«
»Ich glaube nicht, dass du wirklich berufen bist, ins Kloster zu gehen«, schnitt Frederik ihr das Wort ab. »Denn wärst du es, hättest du dich mir nicht gerade hingegeben.«
»Das war …« Sie stockte.
»Was?«
»Eine Verirrung.«
Er schüttelte den Kopf. »Es war deine innerste Natur. Sie hat sich gegen das aufgelehnt, was du dir einredest.«
»Ich muss meiner Berufung folgen.«
»Es ist eine falsche Berufung. Und der soll man nicht folgen!«
Sie atmete tief durch. Ihr Herz fühlte sich schwer wie ein Stein an. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Am liebsten hätte sie jetzt seine Hände genommen, aber daran war gar nicht zu denken. Eine klumpfüßige Bettlerin beobachtete sie beide ziemlich ungeniert und wartete geradezu darauf, dass sich irgendetwas Interessantes vor ihren Augen abspielte, etwas, das ihr diesen kalten Abend vertrieb und sie weniger daran denken ließ, dass ihr der Magen knurrte.
Die Bettlerin lächelte schief und entblößte dabei einen vollkommen zahnlosen Mund. Ein verwachsener Zwerg gesellte sich zu ihr, der bis dahin intensiv damit beschäftigt gewesen war, die Kupfermünzen zu zählen, die er sich während des Tages erbettelt hatte. Doch damit hatte er jetzt aufgehört und stierte stattdessen erst Johanna und dann Frederik an.
»Wir werden beobachtet«, sagte Johanna.
»Meinetwegen muss unsere Liebe kein Geheimnis bleiben.«
»Ihr bildet Euch etwas ein, Frederik von Blekinge.«
»Nein. Du bist es, die die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nehmen will.«
Johanna sah zu der zahnlosen Bettlerin hin und sagte: »Wir sollten uns hier nicht weiter unterhalten.«
»Dann gehen wir woanders hin – und am besten wird es sein, ich begleite dich auf dem Weg, der ohnehin vor dir liegt.«
»Mein Vater …«
»Dein Vater wird sich darüber freuen, etwas mehr über die Ansichten zu erfahren, die der Gesandte des schwedischen Königs zu den Fragen hat, die zurzeit auf dem Hansetag zur Entscheidung anstehen. Und umgekehrt würde Gustav Bjarnesson sicher auch gerne erfahren, mit welcher Ernsthaftigkeit sich die lübische Ratsgesandtschaft für einen Krieg gegen Waldemar einzusetzen bereit ist oder ob es am Ende gar lohnender erscheint, sich anderswo Verbündete zu suchen.«
Die zahnlose Bettlerin und der Zwerg folgten Frederik und Johanna nicht weiter, nachdem sie in eine Gasse eingebogen waren. Frederik schenkte ihr ein Lächeln, das sie unwillkürlich erwidern musste. »Ihr seht, ich habe gute Gründe, Euch zu begleiten, Johanna von Dören. Wenn man also einen Vorwand braucht, so bin ich bereit, ihn zu liefern, obwohl ich nichts dagegen hätte, mit offenen Karten zu spielen und Euren Vater gleich um Eure Hand anzuhalten.«
Johanna hatte wohl bemerkt, dass Frederik wieder begonnen hatte, sie in förmlicherer
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