Die Kaufmannstochter von Lübeck
seinige. Er hob schließlich ihren Umhang auf und legte ihn ihr um die Schultern. Eine Geste voller Zärtlichkeit. Weiches Kerzenlicht erhellte sein Gesicht. Ein gleichermaßen liebevoller wie begehrender Blick traf sie. »Du bist eine Frau, wie es sie wohl kein zweites Mal gibt«, flüsterte er.
Johanna konnte nur schlucken. Sie hätte ihm gerne etwas erwidert. Etwas, das ihm sagte, dass sie ähnlich empfand und dass sie das eigentlich auch schon vom ersten Augenblick an, da sie ihm begegnet war, gewusst hatte. Das alles aber mischte sich mit einer Flut anderer Gedanken. Gedanken daran, dass sie doch ein Gelübde hatte ablegen wollen. Dass sie auf die Freuden der Liebe verzichten und sich dem Dienst am Herrn widmen wollte. Dass sie ihr Leben in aussichtsloser Lage geschenkt bekommen hatte und deshalb den Schwur nicht brechen durfte, den sie sich selbst und Gott gegenüber abgelegt hatte.
Schritte von einem Dutzend Männern hallten jetzt durch das Domgewölbe. Es mussten die Mönche sein. Ein Geräusch ließ Johanna herumfahren. War da nicht ein Schatten zwischen den Säulen gewesen? Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, dass da jemand wäre. Aber vielleicht war das auch nur ihr schlechtes Gewissen, das ihr einen Streich gespielt hatte.
Frederik schien es aber auch bemerkt zu haben. Er hielt in der Bewegung inne, als er seinen Gürtel schloss.
»Ich werde jetzt gehen«, sagte sie.
»Dann werde ich dich begleiten.«
»Um alles noch schlimmer zu machen?«
»Ist denn irgendetwas Schlimmes geschehen?«
Die Schritte der Mönche verklangen unterdessen. Sie gingen durch das Hauptschiff, schweigend und jeder für sich still betend. Schließlich waren sie nicht mehr zu sehen. Das Geräusch einer knarrenden Tür zeigte an, dass sie den Dom verließen.
Johanna atmete tief durch. In ihrem Inneren herrschte ein einziges wirres Chaos an unterschiedlichsten Gedanken und Empfindungen. Das meiste davon ließ sich kaum in Worte fassen. Sie wusste nur eins: Was geschehen war, hatte für sie alles verändert. Es würde immer ein Davor und ein Danach geben. Von nun an war nichts mehr, wie es gewesen war. Und ein Zurück gab es nicht. Geschehenes konnte man nicht ungeschehen machen. Man konnte allenfalls auf Vergebung und Gnade hoffen.
Hinter einer der Säulen tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt auf. Das Gewand war so dunkel, dass es von dem umgebenden Schatten kaum zu unterscheiden war. Doch dann fiel Licht auf falkengraue Augen in einem hageren Gesicht.
Es war Pater Martinus vom Domkapitel, dessen strenges Regiment dafür sorgte, dass kein Pilger in seinem heiligen Eifer den Reliquien zu nahe kam oder sich gar daran vergriff.
Diese Augen musterten sowohl Johanna als auch Frederik auf eine so durchdringende Weise, dass Johanna erschrak. Hatte Pater Martinus etwas gesehen? Hatte er etwa bemerkt, dass sie sich im Haus des Herrn so hemmungslos ihrer Begierde hingegeben hatten? Der Herr sieht ohnehin alles , dachte Johanna. Und er wird dich strafen, wenn er es für richtig befindet.
»Ihr habt Eure Gebete schon verrichtet, Johanna von Dören?«, fragte Pater Martinus. Seine Stimme klang so kalt wie das Eis, das in kalten Wintern die Trave gefrieren ließ.
»Ja, Pater«, sagte Johanna tonlos.
Dass er sich an ihren Namen erinnerte, war nicht weiter ungewöhnlich. Schließlich hatte sie sich zusammen mit ihrem Vater mehrfach mit Pater Martinus und anderen Vertretern des Domkapitels getroffen. Als Tochter eines lübischen Ratssendboten war sie durchaus bekannt. Und auch wenn sie hin und wieder mit ihrer heiratswilligen Schwester verwechselt wurde, hatte durch Bruder Emmerhart längst auch die Geschichte ihrer wunderbaren Errettung vor der Pest die Runde gemacht.
Frederik verneigte sich leicht.
Pater Martinus bedachte ihn lediglich mit einem geringschätzigen, letztlich aber undurchdringlichen Blick.
»Der Herr sieht die Sünde im Herzen eines jeden Menschen«, sagte er dann.
»Ich soll Euch die Grüße meines Vaters ausrichten«, gab Johanna zurück.
»Dann richtet ihm meinen Dank aus.«
Mit diesen Worten ging der Mönch davon. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal kurz um und ging zu den Kerzen, die ein plötzlicher Luftzug gelöscht hatte, und entzündete sie erneut. Er hat etwas gemerkt, dachte Johanna. Was diesen Punkt betraf, war sie sich plötzlich vollkommen sicher.
»Ich sollte dich zu deinem Quartier begleiten«, sagte Frederik, nachdem sie den Dom verlassen hatten. Dämmerung hatte sich
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