Die Kaufmannstochter von Lübeck
gewesen«, sagte Moritz von Dören stirnrunzelnd. »Deine Gebete scheinen heute sehr intensiv gewesen zu sein.«
»Ja, das waren sie.«
Sie nahm die Kapuze vom Kopf. Ihr Haar war ziemlich zerzaust. Eine ganze Reihe von Strähnen hatte sich gelöst. Aber das konnte man auch der Kapuze zuschreiben.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Moritz von Dören.
»Es gibt keinen Grund zur Klage«, antwortete Johanna. »Aber ich bin müde und möchte jetzt hinauf in die Kammer gehen.«
»Du willst nichts mehr essen?«
»Der Braten, den der Wirt auf den Spieß gesetzt hat, riecht jedenfalls vielversprechend«, mischte sich Brun Warendorp ein.
Aber Johanna schüttelte den Kopf. »Das Rebhuhn im Rathaus war schon mehr als genug für mich und liegt mir noch immer schwer im Magen.«
Z ehntes K apitel
Ein Treffen in der Hurengasse
Es war weit nach Mitternacht. Bruder Emmerhart trat taumelnd aus dem Haus von Georg dem Ehrlosen. Der war als Scharfrichter und kommunaler Frauenwirt zwar einer der vermögendsten Männer Kölns, aber auf Grund seiner ehrlosen, wenn auch einträglichen Geschäfte galten auch er selbst und seine Familie als ehrlos. Und auch wenn Georg allein durch die Pacht, die er der Stadt für die Häuser entrichtete, in denen er dann seinerseits Hübschlerinnen ihre Dienste anbieten ließ, mehr zum Haushalt des Rates beitrug, als die zehn wichtigsten Kaufleute Kölns zusammengenommen an Steuern zahlten, war ihm das Bürgerrecht ebenso verwehrt wie die Teilnahme an Festen und der Besuch der Heiligen Messe. Von einem Sitz im Rat, der seinem Vermögen eigentlich angemessen gewesen wäre, ganz zu schweigen.
»War es der viele Wein, der Euer Gleichgewicht stört, oder habe ich Euch zu sehr beansprucht, Bruder Emmerhart?«, fragte die dunkelhaarige, grell geschminkte Frau, die ihn hinausbegleitet hatte und ihn jetzt stützte.
Emmerhart wischte sich mit der Hand über das Gesicht.
»Danke«, sagte er und lächelte mild. »Ich glaube eher, dass es wohl doch zu viel des Guten war – vom Wein, meine ich natürlich.«
»Von dem anderen könnt Ihr ja auch nie genug bekommen. Da seid Ihr unersättlich!«
»Jedenfalls brauchst du dir um meine Standhaftigkeit keine Sorgen zu machen«, gab Emmerhart grinsend zurück. »Und deswegen lass mich jetzt besser los, bevor mich jemand hier in einer Lage sieht, die meiner Würde schadet!«
»Wenn Ihr in den Dreck fallt, ist das auch würdelos«, gab die Dunkelhaarige zurück. »Und manchmal scheint es mir, als ob die Pferde vor dieses Haus besonders gerne scheißen! Also achtet darauf, wo Ihr hintretet.«
Sie ließ ihn los, und Bruder Emmerhart machte einen etwas unsicher wirkenden Schritt. »Es geht schon«, behauptete er.
»Man sollte sich für eine Sünde entscheiden, Emmerhart! Trinken oder …«
»Ach, halt deinen Mund!«
»Und Ihr werdet auch nicht jünger!« Sie lachte. »Aber ich freue mich jedes Mal, wenn Ihr nach Köln kommt. Ich frage mich nur, wer es Euch noch glauben soll, dass Ihr nur hier seid, um dem Ehrlosen Georg die Beichte abzunehmen – jede zweite Nacht.«
»Jemand wie der Ehrlose Georg hat so viele Sünden zu beichten, dass ich mir hier für ein Jahr ununterbrochen einquartieren könnte – und wir wären immer noch nicht fertig.« Emmerhart drehte sich noch einmal halb herum, hob kurz die Hand und begann dann, rudernde Bewegungen auszuführen, um das Gleichgewicht zu halten.
»Ich sagte ja: Aufpassen!«, rief die Hübschlerin und wandte sich zur Tür.
Bruder Emmerhart ging die Gasse entlang. Es war ziemlich dunkel. Es brannten kaum Lichter. Selbst im Frauenhaus herrschte größtenteils Ruhe. Irgendwo kläffte ein Hund. Eine streunende Katze huschte über das Pflaster, und plötzlich erschrak Emmerhart bis ins Mark, als ein dunkler Schatten vor ihm auftauchte.
»Ich sehe, Eure Vorlieben haben sich nicht geändert«, sagte eine schneidende Stimme.
»Na, die Euren offensichtlich auch nicht, Pater Martinus«, gab Emmerhart erleichtert zurück, nachdem er sein Gegenüber an der unverkennbaren Stimme erkannt hatte.
»Ihr seid vermutlich nur hier, um dem Ehrlosen Georg und seinen Hübschlerinnen die Beichte abzunehmen, die man schließlich auch den schlimmsten Sündern nicht verwehren kann.«
»Ihr sagt es, Pater Martinus! Aber wie ich sehe, ist man in dieser verrufenen Straße mit priesterlichem Beistand bestens versorgt …«
»Ich bin einzig und allein Euretwegen hier, Emmerhart.«
»Meinetwegen?«
Emmerhart war überrascht und wirkte
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