Die Kaufmannstochter von Lübeck
plötzlich sehr viel nüchterner als zuvor. Er wischte sich zum wiederholten Mal über das Gesicht, so als ließe sich auf diese Weise die Wirkung des Weins zurückdrängen. Was um alles in der Welt konnte der Priester des Domkapitels von ihm wollen? Da sie sich bei anderer Gelegenheit oft genug getroffen hatten, war davon auszugehen, dass es sich um irgendetwas handeln musste, das niemand sonst zu hören bekommen sollte.
»Ihr seid ein Mann mit festen Gewohnheiten, Bruder Emmerhart«, sagte Martinus. »Gewohnheiten, die Ihr im Laufe der Jahre bei all Euren Aufenthalten in Köln kaum variiert habt.«
»Meine Gewohnheiten sollten Euch einen Dreck angehen, Martinus. Und im Übrigen denke ich, dass sie sich von den Euren wohl kaum unterscheiden, denn wenn ich die Hübschlerinnen so reden höre, dann würden die Geschäfte bei der großen Konkurrenz schlecht gehen, wenn nicht gerade Hansetag wäre. Aber wenn kein Hansetag ist, dann retten die Angehörigen des Domkapitels die armen Frauen vor dem Verhungern und stopfen dem Ehrlosen Georg die Taschen voll, wie man so hört!«
»Schließt nicht von Euch auf andere«, sagte Martinus, und seine Stimme hatte einen Klang von so durchdringender Kälte, dass es selbst Emmerhart unwillkürlich zu frösteln begann.
»Was wollt Ihr?«
»Vielleicht will ich Euch die Beichte abnehmen, denn Ihr hättet es gewiss nötiger als manch anderer Eures Standes.«
»Was Ihr nicht sagt …«
»Aber eigentlich bin ich hier, um Euch etwas mitzuteilen. Etwas, das an einem Ort wie diesem besprochen werden kann, wo es niemand hören wird, dem man später glauben könnte.«
»Wovon sprecht Ihr?«
»Von der Tochter des lübischen Ratsgesandten Moritz von Dören.«
Emmerhart runzelte die Stirn.
»Er hat zwei Töchter.«
»Ich meine nicht diejenige, über deren bevorstehende Hochzeit bereits überall geredet wird, sondern die andere.«
»Johanna?«
»Die angeblich die Pest besiegte und der deshalb ein heiliges Wesen innewohnen soll.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich wurde im Dom Zeuge einer sehr eigenartigen Begebenheit, von der ich denke, dass Ihr davon wissen solltet.«
Emmerhart schaute weg und wirkte fast wie ein Dieb, der fürchtet, ertappt worden zu sein. »Ihr habt mein Ohr, Pater Martinus«, sagte er dann.
E lftes K apitel
Ein Blutbad in den Auen
Ein Dutzend schwer bewaffnete Reiter preschte durch die feuchten, nebelverhangenen Wiesen. Raben krächzten und kreisten über ihnen wie die Vorboten kommenden Unheils, bevor sie sich auf die Äste der wenigen Bäume setzten, die es hier gab.
Die Reiter waren überwiegend gut bewaffnet. Schwerter hingen an ihrer Seite oder über ihren Rücken, darunter auch mächtige Beidhänderklingen. Einige der Reiter hatten auch Armbrüste bei sich. Söldner, angeheuert, um das sichere Geleit einiger Gesandter zu gewährleisten, die sich darum bemüht hatten, das Hansebündnis gegen Waldemar so weit zu vergrößern, wie dies irgend möglich erschien.
An der Spitze der Gruppe ritt Pieter van Brugsma aus Antwerpen. Der hochgewachsene, breitschultrige Mann konnte es kaum erwarten, nach Köln zu kommen. Und das nicht nur, weil er die schriftlichen Zusagen einiger wichtiger niederländischer und flandrischer Städte in der Ledertasche an seinem Sattel trug, sich an einem Kriegszug gegen Waldemar von Dänemark zumindest finanziell zu beteiligen. Insofern hatte er zumindest einen teilweisen Erfolg zu vermelden.
Davon abgesehen wartete in Köln seine zukünftige Gemahlin darauf, dass er ihr das Jawort gab und so die beiden Handelshäuser von Dören und van Brugsma dauerhaft verband. Besonders hingezogen fühlte er sich zu Grete von Dören nicht. Aber andererseits war es auch für das Haus van Brugsma wichtig, eine so enge Verbindung mit der hanseatischen Vormacht Lübeck zu haben, und es war davon auszugehen, dass diese Vermählung es den van Brugmas erheblich erleichtern würde, ihren Einfluss auch auf den Ostseehandel auszudehnen und vielleicht in Zukunft so manchen Zwischenhändler auszuschalten.
Tiefe Sehnsucht war es also nicht, die Pieter van Brugsma den Jüngeren zu Grete von Dören hinzog. Aber immerhin hätte es auch schlimmer kommen können. Bei den Gelegenheiten, zu denen sich Pieter und Grete bisher getroffen hatten, hatte sie zumindest gesund gewirkt. Soweit er sehen konnte, hatte sie noch alle Zähne, und sie besaß ein breites Becken. Und da ihre Gestalt im Ganzen anmutig wirkte, würde es wohl auch keine allzu große Überwindung
Weitere Kostenlose Bücher