Die Kaufmannstochter von Lübeck
Johanna. Aber vielleicht muss er das. Vielleicht muss er Stärke zeigen, um Stärke zu gewinnen.
Denn auch in Lübeck gab es nicht nur Befürworter eines harten Vorgehens gegen Waldemar, wie ihr Vater oft genug berichtet hatte.
Wie zufällig fiel Johannas Blick auf Bruder Emmerhart, dessen Gesicht das breite Lächeln verloren hatte, das sonst so kennzeichnend für ihn war. Vielleicht lag es an den Reisestrapazen, die auch Emmerhart sichtlich zugesetzt hatten. Es war für Johanna allerdings überdeutlich, dass Emmerhart die Worte des Bürgermeisters missfielen. Was hat er eigentlich für Absichten?, ging es ihr durch den Kopf. Und sie musste daran denken, wie sehr sie in der Hand dieses undurchsichtigen Geistlichen war, der bei Gelegenheit wieder einen Gefallen von ihr einfordern würde. Einen Gefallen, bei dem es darum ging, ihren Vater zu beeinflussen.
Nein, die Sache mit Meister Andrea soll das letzte Mal gewesen sein, dass ich mich zu so etwas hergebe, nahm sich Johanna vor. Ich muss auf den geraden Weg zurückkehren. Und das in jeder Hinsicht.
Der Menschenauflauf um den Bürgermeister löste sich bald auf. Es würde keine Stunde dauern, bis sich die Kunde von der Rückkehr der lübischen Ratsgesandtschaft in der gesamten Stadt bis zum letzten Tagelöhner verbreitet hatte.
Moritz von Dören und Brun Warendorp trennten sich schließlich, nachdem sie noch ein paar Worte miteinander geredet hatten. Und auch Bruder Emmerhart verabschiedete sich von den anderen. Ihm folgte Meister Andrea, der in einer Kammer in Emmerharts Apotheke wohnen sollte. »Ich werde Euch auch ein paar Mittelchen aus dem reichen Fundus der Apotheke zur Verfügung stellen, mit denen Ihr Eurem durch den langen Ritt gequälten Hinterteil etwas Gutes tun könnt, Meister Andrea.«
Als sich Emmerhart und Andrea entfernt hatten, sprach Johanna zu ihrem Vater. »Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht ein Fehler ist, den Marzipanmacher in der Apotheke nächtigen zu lassen.«
Moritz sah seine Tochter erstaunt an. »Wieso das denn? Er wird dort ja auch arbeiten und wäre nicht der erste Handwerker in Lübeck, der an der Stätte seines Erwerbs auch schläft.«
»Ja, ich weiß«, gab Johanna zu.
»Dann verstehe ich ehrlich gesagt nicht, was deine Andeutung soll.« Auch Moritz von Dören hatte die anstrengende Reise ziemlich zugesetzt, und seine Laune war inzwischen auch nicht mehr die beste.
»Es ist nur so ein Gefühl«, meinte Johanna. »Unser guter Bruder Emmerhart könnte versuchen, diesen falschen Venezianer unter seinen Einfluss zu bekommen. Wenn er das nicht schon getan hat, was ich fast glaube.«
»Ich glaube, du machst dir da unnötig Sorgen, meine Tochter«, sagte Moritz zufrieden lächelnd. »Bruder Emmerhart soll diesen Süßwaren-Alchemisten gerne so nachhaltig beeinflussen, dass er anschließend dermaßen viel von dem Zeug herstellt, dass sich ein jeder Lübecker daran sattessen kann!«
»Dann hast du keine Sorge, vielleicht über kurz oder lang die Kontrolle über diesen Geschäftszweig an Emmerhart zu verlieren?«
Moritz sah seine Tochter überrascht an, während sie bereits in die Straße einbogen, in der das Haus der von Dörens lag. »Das klingt ja beinahe so, als würdest du Bruder Emmerhart nicht trauen.«
»Hast du mir nicht beigebracht, dass man in Geschäftsdingen außer dem Herrgott nur der Rechenkunst eines guten Arithmetikers trauen sollte, der weiß, wie man den Abakus zu benutzen hat!«
Ein verhaltenes Lächeln glitt über Moritz’ Gesicht. »Er ist der Beichtvater unserer Familie und ein so enger Vertrauter wie beinahe sonst niemand anderes hier in Lübeck«, gab er zu bedenken. »Du bist es doch gewesen, die mir die Bedenken bezüglich dieser Sache ausgeredet hat!«
»Ja, das stimmt.«
»Dann verstehe ich im Moment nicht, worauf du eigentlich hinauswillst!«
»Darauf, wer der Herr über diese Sache bleibt, Vater. Du oder Emmerhart.«
Moritz lachte. »Meinetwegen soll es Emmerhart sein! Dagegen habe ich nichts. Und letztlich ist er ohnehin auf mein Geld angewiesen!«
Plötzlich verzog sich Moritz’ Gesicht zu einer Maske, und er griff sich an die Brust.
»Vater!«, entfuhr es Johanna.
Moritz von Dören beugte sich etwas nach vorn, sein Pferd blieb stehen. »Es geht schon«, behauptete er dann, nachdem er sich wieder im Sattel aufgerichtet hatte. Sein Lächeln wirkte jedoch gequält. »Es war nur ein momentanes Unwohlsein.«
»Sollten wir nicht einen Medicus holen?«, fragte Grete, die mit ihrem Pferd
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