Die Kaufmannstochter von Lübeck
runzelte die Stirn. »Dieser Berthold Metzger ist doch nicht etwa der Mann, den man an der schwedischen Küste den Pharao von Stralsund nennt?«
»Genau so nennt man ihn manchmal auch hier«, bestätigte der Gezeichnete. »Obwohl sein Vater nur Metzger gewesen ist und er selbst noch vor wenigen Jahren jeden Tag blutverschmiert in der Schlachtkammer stand und die Messer wetzen musste.«
Wie der Pharao in der Bibel, dem Joseph die Träume gedeutet und geraten hatte, in den sieben guten Jahren Getreide zu horten, um in den sieben schlechten Jahren genug zu haben, war auch Berthold Metzger verfahren und war dabei zum reichen Mann geworden. Sein Ruf war sogar bis Schweden vorgedrungen, nachdem die Schiffsladungen aus Stralsund die Hungersnöte der letzten Jahre zumindest etwas gelindert hatten.
Frederik blickte über die Reling. Die Küste von Rügen war deutlich zu sehen: ein grünes, nebelverhangenes Band. Gut ein Dutzend Söldner waren in Stralsund mit an Bord gekommen, ausgerüstet mit Armbrüsten, Schwertern und Spießen. Zwei Männer, die in einer vollkommen fremdartig klingenden Sprache redeten, waren auch dabei. Sie trugen Langbögen.
»Die kommen aus Wales«, sagte der Gezeichnete an Frederik gewandt.
»Von dem Land habe ich noch nie gehört«, bekannte Frederik.
»Die besten Bogenschützen kommen daher.« Der Gezeichnete lachte. »Nur reden können sie nicht! Aber das brauchen sie ja auch nicht. Wenn wir auf ein dänisches Schiff treffen, dann wird der Kapitän ihnen schon klarmachen, was sie zu tun haben.«
»Ein paar Pfeile gegen eine dänische Kriegskogge?«, fragte Frederik skeptisch.
»Ein paar in Pech getränkte Brandpfeile, die auf mehr als dreihundert Schritt treffen, sind durchaus ein gutes Mittel gegen die Dänen – oder jeden anderen gierigen Narren, der glaubt, dass er eine blutige Nase braucht.«
Kriegsvorbereitungen, dachte Frederik. Sie sind unübersehbar. Die Zeichen stehen auf Sturm, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann er mit aller Gewalt losbrechen wird. Und niemand kann vorhersagen, was dieser Sturm am Ende stehen lässt. Niemand …
Zwei Tage und zwei Nächte dauerte die Fahrt nach Visby. Nichts weiter als das Meer war die ganze Zeit zu sehen gewesen. Der Kapitän hatte den Steuermann angewiesen, sich von allen Küsten fernzuhalten. Glücklicherweise war ihnen auch kein dänisches Schiff entgegengekommen, und die Söldner hatten nicht eingreifen müssen. Im Morgengrauen tauchte dann die Küste Gotlands auf. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt, dachte Frederik. Nur einen kurzen Blick warf er zurück, wo sich bis zum Horizont eine graue, aufgewühlte Wasserfläche zeigte. Ein ganzes Meer trennte ihn nun von dem Land, in dem Johanna lebte. Gischt spritzte über die Reling. Frederik, der Gezeichnete und einige andere Männer bekamen einen Schwall kalten, aufgeschäumten Wassers in die Gesichter.
V ierundzwanzigstes K apitel
Rückkehr nach Lübeck
Als die Gruppe um Brun Warendorp und Moritz von Dören nach einer wochenlangen Reise endlich das heimatliche Lübeck erreichte, bildete sich schnell eine Traube von Menschen, kurz nachdem die Reiterschar das Stadttor passiert hatte. Sowohl Brun Warendorp als auch Moritz von Dören waren stadtbekannte Persönlichkeiten, und mit ihrer lang erwarteten Rückkehr vom Hansetag verbanden sich für nicht wenige Bürger Lübecks große Hoffnungen. Vom Fernhandel lebte schließlich nahezu die ganze Stadt und nicht nur die großen Handelsherrn und Mitglieder der Bruderschaften. Die Händler auf den Märkten, die Schiffbauer, Seeleute, Fischer, Handwerker und selbst die Tagelöhner, die sich als Lastenträger im Hafen verdingten, waren mehr oder weniger davon abhängig, dass der Warenstrom, der Lübeck übers Meer erreichte, niemals abriss. Und das drohte Waldemar in Gefahr zu bringen. Durch die Rückkehr Brun Warendorps würde es nun bald Klarheit über die Zukunft geben: Krieg oder Frieden, Unterwerfung unter den Machtwillen des Dänenkönigs, dem man schon einmal unterlegen war, oder Auflehnung gegen dessen Anmaßungen – mit den bekannten Risiken, die das zwangläufig mit sich brachte.
Dass es tatsächlich zur Bildung der Kölner Konföderation gekommen war, wusste man in Lübeck bereits, denn der Bürgermeister hatte gleich, nachdem der Beschluss gefallen war, einen Boten geschickt, um die Nachricht zu überbringen. Schließlich sollte man sich in Lübeck schon einmal darauf vorbereiten, was nun anstand. Und außerdem sollten sich
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