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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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diesen Vorgang. Mit einem Bleistift kritzelte er Zahlen auf ein Pergament, das er um ein dünnes, rechteckiges Holz gespannt hatte.
    Neben ihm stand der Kapitän. Sein Name war Kilian Roth, ein deutlicher Rotstich in seinem vollen Bart erklärte seinen Familiennamen. Der rote Kilian, wie man ihn auch nannte, war seit vielen Jahren ein treuer Gefolgsmann des Hauses von Dören und für Moritz sogar schon bis in die rauen Gewässer der Irischen See und ins ferne Island gesegelt. Eine der ersten Erinnerungen in Johannas Leben betraf ein Schiff, das von Kilian befehligt worden war. Sie war von ihrer Mutter auf dem Arm an Bord getragen worden und hatte interessiert zugesehen, wie eine Handvoll Seeleute das Segel hochzogen und ein rotbärtiger Mann mit heiserer Stimme Anweisungen brüllte.
    »Warum schreit der Mann so?«, hatte die kleine Johanna damals ihre Mutter gefragt.
    »Damit alles geschieht, was geschehen muss«, hatte diese ihr geantwortet. »Er ist der Kapitän – und so wie Gott bestimmt, was auf der Welt geschieht, bestimmt der Kapitän dies auf dem Schiff und weist jedem seine Arbeit und seinen Platz an.«
    Dieses Bild war in all den Jahren niemals aus Johannas Gedanken verschwunden.
    »Seid gegrüßt, Herr!«, wandte sich Kilian Roth an Moritz von Dören. »Und natürlich auch Ihr, Johanna!«
    Johanna nickte ihm freundlich zu. Auch Jorgen Ullrych nahm sich einen Moment Zeit, um Moritz und Johanna zu begrüßen – allerdings nur kurz, denn das Entladen des Schiffes musste haargenau überwacht und alle Waren peinlichst genau aufgelistet werden.
    Moritz und Johanna stiegen von ihren Pferden. Einer der angeheuerten Tagelöhner nahm die Zügel. Der Wind fuhr Johanna durch das Haar und ließ von ihrer Frisur nicht mehr viel übrig. Da ihr Kopftuch ihren Blick zu sehr behindert hätte, trug sie es nur über der Schulter.
    »Was lässt sich über die Lage im Norden sagen?«, fragte Moritz.
    »Bei der Durchfahrt durch den Öresund sind wir nach wie vor der Willkür der Dänen ausgeliefert. Wir könnten natürlich versuchen, auf anderen Routen zwischen den Inseln hindurchzukommen, aber auch da lauern sie auf einen. Und ein vollbeladenes Schiff ist immer im Nachteil, das brauche ich Euch ja nicht weiter zu erläutern.«
    »Und sonst? Hat sich irgendetwas verändert?«
    »Helsingborg wird zur Festung ausgebaut. Es sieht so aus, als wollte sich Waldemar das Land Schonen auf gar keinen Fall mehr wegnehmen lassen!«
    »Heißt das, man bereitet sich bereits auf einen Krieg vor?«, vergewisserte sich Moritz.
    Kilian Roth bestätigte dies. »Man braucht ja auch keine Spione, um zu erkennen, dass sich da etwas zusammenbraut. Und es gibt noch eine Nachricht, die Euch sicher nicht freuen wird.«
    »Und welche?«
    Der Kapitän drehte sich um, um sicherzugehen, dass ihn niemand hörte. Er wartete ab, bis mehrere Tagelöhner mit ein paar schweren Ballen Tuch an ihnen vorbeigegangen waren, und sagte dann: »In Bergen ist der Schwarze Tod.«
    »Schon wieder?«, entfuhr es Moritz. »Hat diese Geißel Gottes nicht genug unter den Menschen gewütet?«
    »Wir haben unseren Aufenthalt dort auf dem Hinweg so kurz wie möglich gehalten und sind auf der Rückfahrt von Antwerpen aus gar nicht mehr in Bergen eingelaufen.«
    Johanna versetzte es einen Stich, als sie vom neuerlichen Pestausbruch in Bergen hörte. Ist das ein Fingerzeig des Herrn für mich, um mich daran zu erinnern, dass ich einst von ihm vor dem Schwarzen Tod errettet wurde? Dieser Gedanke ließ Johanna nicht mehr los, sosehr sie sich auch dagegen zu wehren versuchte.
    Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie sich ihr Vater und Kilian Roth über die Pest in Bergen unterhielten.
    »Wenn es auf Eurer weiteren Reise keinen Pestfall an Bord gegeben hat, dann kann man davon ausgehen, dass Ihr die Seuche nicht mit Euch tragt«, meinte Moritz.
    Kilians Gesicht wurde sehr ernst. »Wir hatten einen Fall. Ein Matrose brach kurz vor der englischen Küste zusammen und war tot. Wir haben ihn über Bord geworfen.«
    »Hatte er denn die typischen Zeichen des Schwarzen Todes?«, mischte sich Johanna nun etwas zu heftig in das Gespräch der beiden Männer ein. Jedenfalls erntete sie sowohl von ihrem Vater als auch von Kilian Roth einen verständnislosen Blick. Und selbst Jorgen Ullrych wurde kurz von seinen Pflichten abgelenkt, auch wenn das Gesagte gar nicht für ihn bestimmt war. Johanna hatte wohl zu laut gesprochen – und was den Schwarzen Tod anging, da war man in Lübeck besonders

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