Die Kaufmannstochter von Lübeck
ging es ihr durch den Kopf, hatte sie sich doch bereits darauf eingestellt, dass ihr Leben durch die Begegnung mit Frederik einen ganz anderen Weg nehmen könnte, als sie sich vorgenommen hatte. Auch wenn sie die Vorstellung, ein Leben als Ehefrau zu führen, immer ziemlich brüsk von sich gewiesen hatte, so hatte sie das unter Umständen nur deshalb getan, weil sie sich in Wahrheit mehr danach sehnte, ihren Schwur vergessen zu können, als sie es wahrhaben wollte.
Doch dieses dunkle himmlische Zeichen in Gestalt eines von Ratten zerfressenen Pesttoten konnte sie nicht ignorieren.
Herr, verzeih mir, dass ich so selbstsüchtig war, betete sie immer wieder.
S echsundzwanzigstes K apitel
Pläne und Absichten
Es war ein eisiger, grauer Tag, als Johanna die Äbtissin Agathe des St.Johannis-Klosters aufsuchte, das seinen Sitz gleich neben der St.Johannis-Kirche zu Lübeck hatte. Zisterzienserinnen lebten dort, obwohl das Kloster zur Zeit Heinrichs des Löwen von Benediktinermönchen gegründet worden war. Das Kloster und die St. Johannis-Kirche zählten zu den ältesten Gebäuden Lübecks. Vor gut einem Menschenalter hatten die Benediktinermönche Lübeck verlassen. Es war ihnen in der schnell wachsenden und zunehmend von Reichtum, Gepränge und Sünde geprägten Stadt immer schwerer gefallen, die Regeln des Mönchseins, denen sie sich unterworfen hatten, auch tatsächlich im täglichen Leben einzuhalten. Zu allgegenwärtig waren offenbar die Ablenkungen und Versuchungen jenseits der Klostermauern gewesen, und so hatten sie sich schließlich einen neuen Sitz in der Einöde Ostholsteins gesucht, wo sie in aller Abgeschiedenheit ihrem Ideal der Nachfolge Christi folgen konnten. Seitdem wurde das ehrfurchtgebietende Gemäuer von einer Gemeinschaft von Zisterzienserinnen genutzt, und Johanna hatte immer schon darüber nachgedacht, diesem Orden beizutreten. Vielleicht spielte dabei auch die Tatsache eine Rolle, dass das Kloster inmitten Lübecks lag und man daher doch nicht so aus der Welt war wie in einer Gemeinschaft, die neben der üblichen Strenge des Ordenslebens auch noch die Einsamkeit einer abgeschiedenen Lage gewählt hätte.
Äbtissin Agathe empfing Johanna in einem sehr schlicht gehaltenen Empfangsraum. Ein Kreuz hing an der Wand. Licht fiel durch alabasterverhangene Fensteröffnungen, den Luxus einer Verglasung suchte man im ganzen Haus vergeblich. Glasfenster – bemalte und unbemalte – waren der nebenan liegenden Johannis-Kirche vorbehalten. Die kühle Zugluft, die unablässig das Gemäuer durchwehte, ließ auch die Kerze auf dem einfachen, sehr groß gearbeiteten Holztisch flackern. Äbtissin Agathe war eine Frau mit strengem Gesicht, das von geraden Falten durchzogen wurde, den äußeren Zeichen eines von Strenge und Entbehrung bestimmten Lebens. Ihre dunkelblauen Augen wirkten durchdringend. Es war nicht das erste Mal, dass Johanna die Äbtissin aufsuchte. In den vergangenen Jahren hatte sie immer wieder mit ihr über einen bevorstehenden Eintritt in die Zisterziensergemeinschaft gesprochen. Letztlich hatten aber immer wieder die Umstände dazu geführt, dass daraus noch nichts geworden war.
»Seid gegrüßt, Hochwürdige Frau«, sagte Johanna, nachdem die Novizin, die sie hereingeführt hatte, wieder verschwunden war.
Äbtissin Agathe blickte von dem Pergament auf, das zweifellos etwas mit ihren mannigfachen Aufgaben im Rahmen der Klosterverwaltung zu tun hatte.
»Johanna! Es freut mich, Euch zu sehen. Wie ich hörte, hat es den Schwarzen Tod wieder mal in unseren Hafen verschlagen – und Ihr seid und bleibt für mich ein Zeichen der Hoffnung, dass der Herr uns auch in der schwersten Bedrängnis nicht im Stich lässt.«
»Ich danke Euch, Hochwürdige Frau«, sagte Johanna und trat etwas näher. Da kein zweiter Stuhl im Raum war, blieb Johanna stehen und wartete geduldig, bis die Äbtissin das Pergament gefaltet und auf einen Stapel anderer Dokumente gelegt hatte.
»Was kann ich für Euch tun, Johanna?«
»Ihr kennt meinen Wunsch, Eurer Gemeinschaft beizutreten.«
»Gewiss. Wir haben oft genug darüber gesprochen, und ich habe Euch immer gemahnt, Euch selbst genau zu prüfen, bevor Ihr diesen Schritt tut. Man muss prüfen, ob es wirklich die Berufung des Herrn ist, die einen treibt – oder ob es vielleicht ganz andere Dinge sind, die einen dazu bewegen, den Schutz von Klostermauern zu suchen.«
»Ja, ich erinnere mich sehr wohl an jedes Eurer Worte, Hochwürdige Frau. Und Ihr könnt mir
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