Die Kaufmannstochter von Lübeck
glauben, dass ich alles sehr sorgfältig und immer wieder von neuem bedacht habe.«
Die Äbtissin lächelte kurz und sehr verhalten, bevor ihr Gesicht wieder den Ausdruck maskenhafter Strenge bekam.
»Sagt, was Ihr auf dem Herzen habt, Johanna von Dören«, verlangte sie nun unmissverständlich.
»Ich habe mich entschlossen, den Schritt jetzt zu vollziehen, den ich in der Vergangenheit so oft verschoben habe. Es ist nach wie vor mein größter Wunsch, in Eurer Gemeinschaft mein Leben Gott zu widmen und in der Nachfolge Jesu Christi zu leben.«
Ihre Worte verhallten. An einem der Fenster bewegte ein sehr heftiger Windstoß den Alabaster. Ein Schwall eisiger Luft kam herein und hätte die Kerze auf dem Tisch der Äbtissin beinahe ausgeblasen.
»Und Ihr habt Euch wirklich geprüft, ob das der rechte Weg für Euch ist?«
»Ja, das sagte ich doch schon. Ich bin mir sicher. Der Herr soll mich nicht umsonst vor dem Schwarzen Tod gerettet haben. Ich habe es versprochen, ihm mein Leben zu widmen.«
»Und was ist mit all den Dingen, die Euch in der Vergangenheit davon abgehalten haben, Euren Wunsch wirklich zu vollenden?«
»Es waren Dinge außerhalb meines Einflusses. Sie betrafen meinen Vater und sein Handelshaus. Er brauchte Hilfe, und wie hätte ich sie ihm verwehren können?«
»Hat nicht der Herr seine Jünger auch aufgefordert, alles zurückzulassen und ihm zu folgen?«
»Ja, das hat er.«
»Wenn Ihr wirklich berufen wärt, solches zu tun, hättet Ihr diesen Schritt dann nicht längst vollzogen?«
Johanna schluckte. »Ihr stellt mir eine Frage nach der anderen, Hochwürdige Frau.«
»Fragen, die Ihr Euch stellen solltet!«
»Dass ich bisher nicht das Gelübde abgelegt habe, heißt nicht, dass ich wankelmütig wäre oder dass ich Zweifel an meinem Entschluss hätte«, behauptete Johanna. Aber schon in dem Augenblick, da sie diese Worte sprach, wusste sie, dass sie nicht wahrhaftig waren. Es waren Worte, die nur ihren Willen, aber nicht ihre wahren Empfindungen wiedergaben. Es ist nur das Gefühl der Verpflichtung, das dich hinter Klostermauern treibt, nicht die Berufung des Herzens!
»Dafür, dass Ihr bisher den entscheidenden Schritt nicht gegangen seid, mag es viele Gründe geben«, sagte die Äbtissin dann. »Aber einer ist vielleicht, dass Ihr in Wahrheit eine andere seid, als Ihr Euch selbst immer glauben machen wolltet.«
»Was meint Ihr damit, Hochwürdige Frau?«
Die Äbtissin sah Johanna mit ihrem durchdringenden Blick an, und Johanna lief ein eisiger Schauder über den Rücken. In diesen Augen war so viel Wissen. Johanna hatte das Gefühl, dass sie geradewegs in ihre Seele hineinblicken konnten. Sie fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich. Es fiel ihr schwer, dem Blick der Äbtissin standzuhalten, und doch glaubte sie, genau dies tun zu müssen. Es war eine Probe, so begriff sie. Eine Prüfung, die ihr aufgegeben worden war und der sie sich stellen musste.
»Es sind Dinge vor dem Angesicht des Herrn geschehen, an denen Ihr beteiligt wart und die etwas verändert haben«, sagte die Äbtissin dann.
»Von was für Dingen redet Ihr?«
»Das wisst Ihr sehr gut.«
»Aber …«
»Ich verurteile Euch nicht für das, was im Dom in einer weit entfernten, fremden Stadt geschehen ist, denn auch Maria Magdalena wurde eine treue Dienerin des Herrn.«
»Ehrwürdige Frau, ich …«
»Aber Ihr solltet Euch vor Augen halten, dass niemand einer Versuchung ohne Grund erliegt, und so dürfte der Grund in Eurem Fall der sein, dass Ihr nicht wirklich zu uns gehört, Johanna von Dören. Ich werde Eure Bitte also ablehnen.«
»Das ist nicht möglich!«, entfuhr es Johanna. Allerdings verstand die Äbtissin diesen Satz ganz anders, als Johanna ihn gemeint hatte.
»Doch, das ist sehr wohl möglich, Johanna. Ihr mögt jetzt einwenden, dass auch die Äbtissin dieses Klosters dem Vater-Abt eines mit uns verbundenen Mönchsklosters untergeordnet ist, aber in solchen Dingen hat mein Vater-Abt mir immer freie Hand gelassen, da er meine Menschenkenntnis und meine Fähigkeit, wahre Berufung für den Herrn zu erkennen, sehr wohl zu schätzen weiß. Und so sage ich: Nicht einmal Novizin könnt Ihr hier werden, denn Ihr seid ohne Aussicht, jemals Teil dieser Gemeinschaft zu werden.«
Das ist nicht möglich, hallte der Satz, den Johanna gerade gesagt hatte, noch in ihrem Kopf wider. Aber es war nicht nur die Fassungslosigkeit darüber, dass ihr jede Möglichkeit genommen werden sollte, das zu tun, was sie sich bereits
Weitere Kostenlose Bücher