Die Kaufmannstochter von Lübeck
hellhörig. Zu oft war die Seuche innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte zurückgekehrt.
»Es war kein Medicus an Bord«, sagte Kilian. »Aber glaubt mir, jeder von uns hat schon einmal einen Pesttoten gesehen.«
Ein Schrei ertönte in diesem Augenblick aus dem Inneren des Schiffes. Einer der Seeleute kam vollkommen bleich an Deck gestürzt und stützte sich auf die Reling. »Der Schmale Adam! Er liegt im Lagerraum!«
Kilian wurde blass. »Wir dachten eigentlich, dass der Schmale Adam während des Sturms im Skagerrak über Bord gegangen ist«, wandte er sich an Moritz.
»Er hat die Beulen!«, rief der Seemann an der Reling. »Wir haben den Schwarzen Tod mitgebracht!«
»Ich werde ihn mir ansehen«, sagte Kilian.
»Lasst mich das tun«, verlangte Johanna. »Ich bin von der Pest geheilt worden, und wenn Gott will, dann wird sie mich auch kein zweites Mal befallen.«
»Johanna …«, begann ihr Vater seinen Einwand. Aber Johanna ließ ihn nicht reden.
»Niemand kennt die Zeichen der Krankheit so gut wie ich, die ich sie am eigenen Leib gehabt habe«, beharrte sie.
Zusammen mit Kilian Roth und ihrem Vater ging Johanna zu dem vollkommen konsternierten Seemann. Kilian fragte noch einmal, wo genau der Tote zu finden sei, und er war der Einzige, der aus den stammelnden, kaum verständlichen Worten einen Sinn heraushören und begreifen konnte, was der Mann meinte.
Durch eine Luke stieg er unter Deck. Johanna und Moritz folgten ihm. Es herrschte Halbdunkel, und es war stickig. Ein schwerer Geruch hing in der Luft.
Hinter ein paar Ballen Tuch fanden sie dann den Schmalen Adam. Er musste schon eine ganze Weile dort liegen, denn Ratten und Maden hatten sich bereits an ihm gütlich getan. Die Leiche war in einem erbarmungswürdigen Zustand, und Johanna schnürte es schier die Kehle zu, als sie dies sah.
Der Kopf des Unglücklichen war zur Seite gerutscht. Die eitrige, dunkel verfärbte Beule, die hinter seinem Ohr aufgequollen und geplatzt war, sprach eine eindeutige Sprache. Es ist der Schwarze Tod!, durchfuhr es Johanna. Genau diese Beulen hatte sie als Kind an ihrem eigenen Körper – und dem ihrer Mutter – gesehen. Ein Anblick, der sich in ihr Bewusstsein gebrannt hatte wie kaum etwas anderes.
Plötzlich war ein Quieken zu hören. Für einen kurzen Moment war ein langschwänziger Schatten in einiger Entfernung zwischen mehreren Tuchballen zu sehen.
Die Tatsache, dass an Bord eines Schiffes von Moritz von Dören die Pest war und man damit rechnen musste, dass es weitere Krankheitsfälle geben würde, sprach sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herum. Innerhalb weniger Tage wusste es nahezu jeder in Lübeck. Ein namenloser, lähmender Schrecken hing über der ganzen Stadt. Niemand wusste, was nun geschehen und wie heftig diese Geißel des Herrn diesmal wohl zuschlagen würde. In den letzten Jahren war es nicht nur zu verheerenden Epidemien, sondern immer wieder auch zu kleineren Ausbrüchen gekommen, denen nur wenige Menschen zum Opfer gefallen waren. Manchmal hatten sich die Krankheitsfälle auf die Mannschaft eines Schiffes oder die Bewohner eines Viertels beschränkt. Mitunter hatte es nur einzelne Todesfälle gegeben, ohne dass ein erneuter Ausbruch der Seuche erfolgt war. Aber genauso gut konnte es sein, dass zwei Pesttote, die ein zurückkehrendes Schiff zu beklagen hatte, nur die Vorboten eines Schreckens waren, von dem dann eine Woche später nahezu jede Familie in der Stadt betroffen sein würde.
Die Gottesdienste wurden voller, die Märkte waren schon auf Grund der Jahreszeit nicht so gut besucht wie im Sommer und litten jetzt noch mehr an einem Schwund von Kaufleuten und Kundschaft. Nur der Ausbau der Flotte und alle anderen Vorbereitungen, die man für den Waffengang gegen Waldemar begonnen hatte, gingen unvermindert weiter. Aber überall in der Stadt wartete man darauf, dass irgendwo jemand vom Schwarzen Tod befallen wurde.
Johanna verbrachte viel Zeit mit Beten. Und schließlich kam sie zu der Erkenntnis, dass sie vielleicht helfen konnte, das der Stadt drohende Unheil abzuwenden oder zumindest abzumildern, indem sie ihren ursprünglichen Schwur, ihr Leben Gott zu widmen, endlich in die Tat umsetzte.
Allem entsagen, wie es den Ordensregeln entsprach. Auch ihrer ohnehin völlig ungewissen Liebe zu Frederik von Blekinge, was für Johanna um ein Vielfaches schwerer wog, als auf den Reichtum verzichten zu müssen, mit dem sie als Tochter eines Lübecker Patriziers aufgewachsen war. Vielleicht , so
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