Die Keltennadel
Gelächter, das ihr bekannt vorkam, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine Versammlung in der Nähe der Bar. Dort amüsierten sich ihre Kollegen von RTE. Sie nickte in ihre Richtung und setzte ihren Weg durch das Gedränge fort.
Plötzlich fragte sie sich, was wohl Charlie Plunkett, der Mann, dem sie im Haus von Liam Lavelle begegnet war, von all diesen gut betuchten Leuten halten würde, die hier aßen und tranken, als gäbe es kein Morgen, und das alles gratis. Und wie, überlegte sie weiter, würde Lavelle selbst in diese Umgebung passen? Wahrscheinlich ganz gut. Obwohl sie seine Selbstsicherheit bei ihrem Treffen vorhin leicht erschüttert hatte, worüber sie sich klammheimlich freute. Hatte sie nun geflirtet, oder hatte sie es getan, weil er eine irgendwie herablassende Art in Bezug auf Hazel an den Tag legte, gerade so als wäre sie einer nur zweitrangigen Sekte beigetreten?
Jane war in die Nähe eines Rednerpults geraten, neben dem eine Gruppe von Leuten stand – unter ihnen Becca de Lacy, groß und gertenschlank, in einem Seidensamtkleid, das um den Körper herum eng saß, aber in weiten, hängenden Ärmeln auslief. Es hatte ein Muster aus purpurnen und goldenen Rauten und Kreisen, deren Umrisse mit winzigen Perlen verziert waren, wie sie auch in Fransen von den Ärmeln und vom Saum hingen. Sie war wesentlich dünner, als Jane sie in Erinnerung hatte, die Sehnen am Hals waren deutlich erkennbar, und die Wangenknochen warfen dreieckige Schatten auf ihr Gesicht. Der Herrenschnitt des tintenschwarzen Haars und ein vamphaftes Make-up verstärkten den ausgemergelten Eindruck noch.
Jane ging langsam auf sie zu, während gleichzeitig ein Mann aus der Gruppe an das Rednerpult trat und in ein Mikrofon zu sprechen begann. Es war George Masterson, der Geschäftsführer der Plattenfirma.
»Wer hätte vor zehn Jahren, als wir Becca de Lacys erstes Album veröffentlicht haben, ahnen können, dass sie zur erfolgreichsten weiblichen Musikerin aller Zeiten werden sollte? Man muss fairerweise einräumen, dass Frauen wie Enya oder Sinead O’Connor den Weg für irische Interpretinnen geebnet hatten, aber die Verkaufszahlen von Beccas vier Alben brachen alle bisherigen Rekorde, und sie hat einen eigenständigen Musikstil geschaffen, der oft kopiert, aber nie erreicht wurde. Wie es ein Kritiker ausdrückte, ›spannt sie die Geräusche der Natur vor den Wagen ihrer musikalischen Fantasie, vom Flügelschlag einer Motte bis zur windgepeitschten Küste, vom Seufzer eines Babys bis zum Brüllen des Donners‹. Mit ihrem jüngsten Album Byzanz betritt Becca Neuland, sowohl was die Musik als auch die Texte betrifft, aber ihre Fans werden dennoch den unverwechselbaren Sound und die einzigartige Stimme wiedererkennen, die sie so lieben. Und hier ist sie nun, Ladys and Gentlemen: Becca de Lacy!«
Während die Menge applaudierte, rückte Jane näher zum Rednerpult.
»Danke, George.« Becca sprach leise, es war fast ein Flüstern.
Jane bemerkte, dass sie leichte Schuhe trug, die aus demselben Material gefertigt waren wie ihr Kleid.
»Ich bin heute Abend hier, um Ihnen zu zeigen, dass ich tatsächlich noch existiere – und nicht nur ein Geist bin, der ein Spukhaus bewohnt…«
Höfliches Gelächter breitete sich aus. »Dieses Album ist zum Teil eine Hommage an unseren größten Dichter, einen Schriftsteller, wie er nur alle Jubeljahre auftaucht – ich rede natürlich von William Butler Yeats. Die meisten von uns haben ein paar Gedichte von ihm in der Schule gelernt und es dabei belassen. Ich habe seine Gedanken und sein schriftstellerisches Wirken erst in letzter Zeit besser zu würdigen gelernt, und dafür schulde ich meinem Freund und Lehrer David Edwards Dank – danke, David.« Sie nickte in Richtung eines großen, dunkelhaarigen Mannes mit hagerem Gesicht, der neben George Masterson stand.
»Byzanz war für Yeats ein Symbol für Perfektion, ein Ort, an dem Kunst, Denken und Leben in Einklang standen. Ich hoffe, mein Album reicht zumindest ein klein wenig an dieses Ideal heran… Ich danke Ihnen.«
Die Versammlung brach in lang anhaltenden Applaus aus und dann begann aus zahllosen Lautsprechern überall im Saal Musik zu pulsieren – zunächst hörte es sich an wie eine Zusammenballung von Chören und Klangeffekten, gefolgt von bombastischen Keyboardakkorden und Beccas jäh auf und absteigendem Gesang, dessen Worte in dem hohen Raum und im Lärm der Gespräche nur schwer zu verstehen waren.
Jane war der Sängerin noch näher
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