Die Keltennadel
vorfuhr, luden zwei Sanitäter gerade eine Bahre in einen Krankenwagen. Die Polizei leitete den Verkehr an der Unfallstelle vorbei und hielt Zuschauer, hauptsächlich Schülerinnen, fern. Einige der Mädchen weinten. Lavelle öffnete die Tasche, die er auf dem Beifahrersitz stehen hatte, und entnahm ihr eine silberne Dose mit Öl für die Letzte Ölung.
Einer der Polizisten erkannte Lavelle und ließ ihn durch.
»Eins der Mädchen aus der Schule, Hochwürden. Sie ist am Kopf verletzt. Es war Fahrerflucht.«
Lavelle stieg in den Krankenwagen, wo ihm die Mannschaft Platz machte. Er beugte sich vor und sah in Emilys Gesicht; ihr Kopf ruhte in einer Halskrause, die Brille fehlte, ihre Augen standen offen und blickten ins Leere, aus einer Schwellung auf ihrer Stirn tropfte Blut.
»Gehirnerschütterung«, sagte einer der Sanitäter und drückte ihr eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase. »Aber wenn es ein Schädeltrauma ist, dann könnte –«
»Schafft sie weg hier, schnell!«, rief Lavelle zur Überraschung der beiden Helfer.
Er machte rasch mit dem Öl das Kreuzzeichen auf Emilys Stirn. Öl und Blut, schoss es ihm durch den Kopf. Dann sprang er aus dem Wagen, der Fahrer schloss die Hecktür und rannte nach vorn. Mit Blaulicht und Sirene brauste der Krankenwagen davon.
»Das war aber ein kurzer Besuch, Herr Pfarrer«, sagte der Polizist, der ihn durchgelassen hatte. »Es steht nicht gut um sie, oder?«
»Nein… gar nicht«, sagte er geistesabwesend. Er sah wieder den Körper auf dem weißen Tuch vor sich. Spürte Panik aufsteigen. Und den Schatten der Verzweiflung näher rücken.
»Das ist das Fahrrad der Kleinen«, sagte der Polizist und deutete zu einem Graben auf der anderen Straßenseite, aus dem ein verbeultes Vorderrad ragte. »Es hat sie erwischt, als sie aus dem Tor kam und auf die andere Seite wollte. Sie flog in die Luft, landete auf dem Dach des Wagens und prallte von dort wieder ab. Ihre Freundinnen haben alles gesehen. Der Schweinehund ist weitergefahren. Der Sergeant sagt gerade ihrer Mutter Bescheid.«
Das freistehende zweistöckige Haus lag in einer besseren Wohnsiedlung am Rand von Kilbride. Als Lavelle eintraf, ging der Sergeant der Ortspolizei gerade. »Die Mutter ist mit ein paar Frauen im Haus«, erklärte er dem Priester. »Der Vater ist auf dem Weg von der Arbeit hierher, um sie ins Krankenhaus zu fahren.«
»Danke, Sergeant.«
Die Eingangstür war offen. Lavelle hörte Stimmen aus der Küche im rückwärtigen Teil des Hauses und folgte ihnen.
Brenda O’Neill lehnte an der Spüle und hielt eine Zigarette in den zitternden Fingern, während eine Nachbarin sie zu trösten versuchte. Eine andere Frau goss Tee in Tassen, die auf dem Tisch standen.
»Mrs O’Neill?«, sagte Lavelle leise von der Tür aus. Sie drehte sich um und riss erschrocken die Augen auf. »Oh, Herr Pfarrer«, sagte sie und forschte in seiner Miene nach der schlechten Nachricht, die er zweifellos brachte. »Sind Sie gekommen, um mir das Schlimmste zu sagen?«
»Nein, Mrs O’Neill. Emily ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie ist in guten Händen. Bestimmt geht es ihr bald wieder besser.«
»Es heißt, sie ist bewusstlos. Kopfverletzungen. Das klingt sehr ernst, oder?«
»Das kann man schwer sagen, bevor sie richtig untersucht wurde. Kann ich inzwischen etwas für Sie tun? So viel ich weiß, ist Ihr Mann schon unterwegs. Müssen Sie sonst noch jemanden benachrichtigen?«
»Nein. Aber haben Sie vielen Dank. Unsere Emily ist ein großartiges Mädchen, nicht wahr?«
»Und ob. Ich freue mich immer, wenn ich mit ihr plaudern kann.«
»Und sie schwärmt geradezu von Ihnen, wussten Sie das? Letzte Woche kam sie von der Schule heim und hat etwas von Ihnen in ihrem Zimmer aufgehängt. Möchten Sie es sehen?«
»Ja, sicher«, sagte er. Es würde die Frau für ein paar Minuten ablenken. Ob sie wohl wusste, dass er schon einmal in ihrem Haus gewesen war?
Das Zimmer war, wie Teenagerzimmer sind: Poster von Film und Popstars, ein Bündel Medaillen von Reitturnieren, Kuscheltiere aus Kindertagen auf einem Bord, immer noch in Ehren gehalten. Und genau über ihrem Kopfkissen ein rosa Blatt Papier, auf dem in ordentlicher blauer Schrift geschrieben stand: Alle Dunkelheit der Welt kann eine kleine Kerze nicht am Scheinen hindern.
»Sie sagte, das sei das Beste, was sie je gehört habe. Natürlich hat ihr Vater ihrer Begeisterung gleich einen Dämpfer aufgesetzt –«
Sie hörten eine laute Männerstimme von der Treppe
Weitere Kostenlose Bücher