Die Keltennadel
nichts mehr zurück. Wir mieteten ein Dinghi mit einem Außenborder und fuhren zu den Tauchplätzen und Inseln der Keys. Wir lagen faul herum, schwammen, tauchten zu Riffen und Wracks, sammelten Muscheln – sie war verrückt nach Muscheln und hat viel mehr davon eingesammelt, als wir je hätten nach Hause schaffen können… wenn wir… wenn sie nicht…«
Er hielt inne. Dann löste er seinen Blick von der Decke und sah Jane direkt in die Augen.
»Es hätte nie passieren dürfen. Ich hätte sie retten können…«
Nun kam der schwierige Teil. Zwar hatte er damals der Polizei wieder und wieder alles geschildert, aber seitdem hatte er die ganze Geschichte niemandem mehr erzählt, und die Abfolge der Ereignisse war zu einem Wirrwarr vereinzelter Bilder geworden. Doch die Jahre, die mittlerweile ihre Patina auf seiner Erinnerung hinter lassen hatten, waren nun wie weggewischt.
»Sind Sie je mit Sauerstoffflasche getaucht?«
»Nein… nur hin und wieder geschnorchelt, als Kind.«
»Nun, ob Tauchen oder Schnorcheln, es gibt eine goldene Regel: Man tut es nicht allein. Und warum?« Sofort sprach der Lehrer aus ihm.
»Weil dann niemand da ist, der einem helfen kann, wenn man in Schwierigkeiten gerät«, sagte Jane.
»Richtig. Und deshalb sollte man seinen Tauchpartner nie auch nur aus den Augen lassen.« Er sagte es mit einigem Nachdruck. »Wir hatten gerade vor einer kleinen Insel in den Keys angelegt, nach einem Tauchgang zu einer gesunkenen Galeone«, fuhr er fort. »Paula hatte bemerkt, dass wir über Korallen gefahren waren, und schlug vor, wir sollten hinausschwimmen und sie uns ansehen, nur mit Brille und Schnorchel, ohne Sauerstoffgerät. Wir sind ungefähr hundert Meter da draußen, als sie nach unten zeigt. Genau unter uns ist dieser wunderschöne Engelbarsch, etwa tellergroß, und er ist in einem Stück Fischernetz gefangen, das vom offenen Meer hereingetrieben und an einer Koralle hängen geblieben ist. Das Wasser ist nur rund vier Meter tief. Paula klopft mir auf die Schulter und sagt, wir sollten tauchen und ihn retten. Wie Sie wissen, atmet man mit einem Schnorchel nur voll ein, taucht und bläst die Luft wieder heraus, wenn man auftaucht. Sie beherrschte das inzwischen, aber ich sagte, es sei gefährlich, ohne Messer in die Nähe eines Netzes zu kommen. Man braucht sich nur mit einem Finger oder einer Zehe in den Maschen zu verfangen, und schon ist man in Schwierigkeiten. Ich sagte, ich würde zurückschwimmen und mein Tauchermesser holen, und bat sie, zu warten. Ich war nach einer Minute am Strand, aber auf dem Rückweg konnte ich das Ende ihres Schnorchels nicht sehen, obwohl das Meer glatt war. Mist, dachte ich, sie ist allein getaucht. Aber es war schlimmer.
Als ich zu der Stelle kam, an der ich sie verlassen hatte, entdeckte ich sie fast am Grund unten. Sie hatte den Fisch befreit, aber ihr Arm war irgendwie im Netz hängen geblieben. Sie kämpfte heftig. In so einer Situation kann man nicht lange überlegen. Ich holte Luft, tauchte hinab und versuchte das Netz von der Koralle loszuschneiden. Aber sie packte mich, was es schwieriger machte, an das Netz heranzukommen. Sie war in Panik, offenbar schon zu lange unten, die Verzweiflung in ihren Augen…
Aber dann wurde ihr Griff schwächer und ich konnte das Netz durchschneiden. Ich sah die Luft aus ihrem Mund und ihrer Nase entweichen, aber ich musste selbst unbedingt atmen, deshalb schwamm ich an die Oberfläche. Ich dachte nur, vielleicht komme ich rechtzeitig zurück, bevor sie Wasser in die Lunge bekommt… man fängt an, sich verrückte Hoffnungen zu machen…
Ich ging wieder runter und schaffte es, sie heraufzuholen. Dann schleppte ich sie zum Strand und legte sie rücklings auf ein Handtuch. Ich erinnere mich, dass es weiß war. Ich fühlte nach einem Puls. Nichts. Ich fing mit Wiederbelebung an – zwei Atemstöße in den Mund, fünfzehnmal auf den Brustkorb pressen. Nur bekam ich keine Luft in ihre Lungen. Sie dehnten sich nicht aus. Ich dachte, irgendwas muss ihre Luftröhre blokkieren. Ich musste jetzt wirklich scharf überlegen. Ich war dabei, sie zu verlieren. Mein Messer hatte ich fallen gelassen, aber ihres war noch da, bei ihrer Tauchausrüstung, die am Strand lag. Es ging um Leben oder Tod. Ich packte das Messer und machte einen Einschnitt in ihre Luftröhre, genau hier…« Er zeigte auf seinen Halsansatz.
»Dann führte ich einen Schnorchelschlauch ein. Ich dachte, wenn ihre Atemwege frei sind, könnte ich ihr Herz wieder zum
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