Die Keltennadel
überraschend«, sagte Lavelle. »Max Ryman war ein gefragter Werbefachmann in der City. Und doch hatte ihn ein billiges Flugblatt, das auf einem Parkplatz unter seinen Scheibenwischer gesteckt wurde, in die Sekte gebracht. Binnen eines Monats hatte er mit den Leuten Kontakt aufgenommen, und dann verschwand er.«
»Und was haben Sie für die Frau getan?«
»Ich habe die Sekte ausfindig gemacht. Sie nannten sich Zeugen der Wildnis und hatten ein Lager in einem Forstgebiet nahe dem Lake Superior – etwa fünfhundert Kilometer von Chicago entfernt. Eine Mischung aus rechtsextremer Miliz und Bibelfundamentalisten. Ich bin mit Paula zu ihnen raufgefahren. Das Lager war ausgebaut wie ein Fort der Kavallerie… überall schoben Bewaffnete Wache. Sehr einschüchternd. Jedenfalls wollte Max sie nicht sehen, erklärte sich schließlich aber bereit, mich zu treffen. Sie musste draußen auf dem Parkplatz bleiben. Als sie mich hineinließen, saß er an einem grob gezimmerten Holztisch, links und rechts von ihm je ein Kerl mit einer Maschinenpistole.
Ich versuchte ihm zu erklären, was Paula durchmachte, bat ihn, sich alles noch einmal zu überlegen. Aber ich hätte genauso gut gegen eine Wand reden können. Dann fing er mit seiner Leier an, die ungefähr so ging: ›Gott hat mir befohlen, die Welt da draußen zu verlassen, weil der Antichrist im Weißen Haus sitzt und seine Niedertracht in ganz Amerika um sich greift, in der Stadt wie auf dem Land. Nur eine Kraft, die durch den Kontakt mit der Schöpfung Gottes gestärkt ist, kann hoffen, das Böse zu vertreiben, das sich überall im Land ausbreitet…‹ Es war einfach hoffnungslos, mit einer Person dieser Geistesverfassung in einen Dialog treten zu wollen. Paula hat fast während der gesamten Rückfahrt geweint. Es war schlimmer, als wenn er gestorben wäre oder sie betrogen hätte. Er wirkte, als hätte man bei ihm eine Lobotomie vorgenommen.«
»Und dann haben Paula und Sie also… eine Beziehung angefangen?«, fragte Jane vorsichtig.
»Das hat sich mit der Zeit so entwickelt, wir haben es gar nicht richtig gemerkt. Sie hat einen Anwalt engagiert, um in den Besitz von Sparguthaben und Kapitalanlagen zu kommen, die Max der Sekte überschrieben hatte. Hin und wieder zogen sie mich zu Rate. Paula unterrichtete in einer Sonderschule, in den Sommerferien hatte sie viel Zeit, und wir haben uns oft gesehen. Ich denke, es ging ihr sehr schlecht, und es half ihr, wenn sie mit mir darüber reden konnte. Sie wiederum fragte mich über das Zölibat aus und was es bedeutet. Damals gaben gerade einige Priester in der Diözese ihr Amt auf und heirateten, es war also ein aktuelles Thema.«
»Und wie sahen Ihre Ansichten dazu aus?«, fragte Jane.
»Meine Interpretation ging dahin, dass Ehelosigkeit nicht dasselbe wie Keuschheit sei. Bei Ersterem würde man sein Leben Gott weihen, anstatt es mit einem anderen Menschen in der Ehe zu teilen. Das andere sei eine Gewissensfrage, bei der es darum gehe, wie man sein Sexualleben mit seinen allgemeinen Überzeugungen in Deckung bringe. Und ich kann Ihnen sagen, dass sie dieses Gespräch gut in Erinnerung behielt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Außer ein, zwei Umarmungen war nicht viel zwischen uns gewesen, aber ein paar Wochen vor Schulbeginn lud sie mich zum Essen in ein Restaurant ein. Sie sagte, sie habe einiges Geld von Max’ Sparkonten erhalten, und das wolle sie feiern. Bei unserem Treffen zog sie dann irgendwann zwei Flugtickets aus der Tasche und sagte: ›Du kannst dein Gelübde der Ehelosigkeit ruhig halten, aber wird es nicht Zeit, dass weniger Keuschheit zwischen uns ist?‹ Sie hatte uns einen Flug nach Miami gebucht, mit Unterbringung in einem Strandhaus auf den Florida Keys.
Sie hatte sich noch etwas anderes von dem gemerkt, was ich sagte. Dass ich nämlich bei ihr sein wollte, wenn sie zum ersten Mal das Meer sieht. Sie hatte es noch nie gesehen, was ich als Ire ganz ungewöhnlich fand. Aber ich hatte ebenfalls eine Überraschung für sie auf Lager. Als ausgebildeter Tauchlehrer war ich entschlossen, ihr auch die Tiefen des Meeres zu zeigen.«
»Wann haben Sie einen Tauchkurs gemacht? Im Seminar?«
»Ja, und ich habe die Tauchlehrerausbildung gleich angehängt. Als wir in Florida ankamen, habe ich sie sofort für einen zweitägigen Crash-Kurs angemeldet, ich dachte, sie kann mit meiner Hilfe im Laufe unserer Woche darauf aufbauen. Sie war zunächst unsicher, aber nachdem sie ihr erstes Korallenriff gesehen hatte, hielt sie
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