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Die keltische Schwester

Die keltische Schwester

Titel: Die keltische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Finger und nickte.
    »Hier nun folgt die zweite Person, der zweite Faden. Das ist Bellah.«
    »Ja, Herr, ich sehe es. Der Knoten ist das, was ihr passiert. Und … o ja, hier kommen die beiden zusammen, und sie gibt ihm das Zauberglöckchen.«
    »Richtig, und hier, der dritte Faden.«
    »Ist die Groac’h, die Houarn einfängt.«
    Glücklich rezitierte Danu die ganze Geschichte und verfolgte mit den Fingern die Fäden und Knoten des Netzes.
    »Es ist nicht ganz so schwer, Danu, nicht wahr?«
    »Nein, wenn man es sich so merken kann. Ich will es bei den anderen Versen auch versuchen. Aber …« Das Mädchen druckste einen Moment herum.
    »Was willst du noch wissen?«
    »Herr, das mit den Zeichen, das, was Rigan gesagt hat. Gibt es das wirklich?«
    »Natürlich. Die Römer und die Griechen benutzen sie. Sie schreiben für jeden Laut ein Zeichen, aus diesen Zeichen setzen sie Wörter und ganze Sätze zusammen. Wenn ein anderer diese Schrift sieht, kann er von dem Pergament oder dem Papyrus daraus ablesen, was ihm der andere mitteilen wollte.«
    Danu überlegte angestrengt.
    »Aber es ist doch gefährlich, die Worte so festzulegen, dass ein anderer sie einfach ablesen kann. Herr, Ihr habt uns gelehrt, dass Worte Macht sind. Dass man mit Worten ächten und verfluchen kann.«
    »Darum werden unsere Gesänge und Sprüche, unsere Gesetze und die Worte der Macht auch nicht geschrieben, sondern müssen von Mund zu Mund weitergegeben werden. So, wie du es jetzt lernst, so wie du es einst weitergeben wirst. Und so, wiedu später deine eigenen Worte dazugeben wirst, denn unsere Geschichten sind lebendig. Was hingegen festgeschrieben ist, ist tot und kann sich nicht mehr wandeln.«
    »Ja, das verstehe ich. Ja, jetzt sehe ich ein, warum wir die vielen Verse lernen. Aber, bitte, noch eine Frage.«
    »Ja, Danu?«
    »Kennt Ihr die Zeichen auch?«
    »Diese und viele andere. Du wirst sie auch lernen, wenn du willst. Denn es ist nützlich, die Worte der anderen lesen zu können. Ihre Verträge und Gesetze, ihre Gebete und Gedichte.«
    Conall lächelte Danu zu und wandte sich zum Gehen. Das Mädchen aber blieb am Strand stehen und sah zum Meer hinaus.
    Ich fühlte den warmen Sand unter meinen Sandalen, den Wind, der eine Strähne aus meinen geflochtenen Haaren gelöst hatte. Meine Fingerspitzen fuhren über die salzverkrusteten Fäden des Netzes vor mir, und die alten Gesänge woben ihr verschlungenes Muster in seinem Geflecht.

    »Lindis, wach doch auf! Mein Gott, Lindis!«
    Lindis? Wer war Lindis?
    Eine Hand rüttelte an meiner Schulter.
    »Muss ich schon gehen?«, murrte ich. Es war so schön am Strand.
    »Lindis, was ist los? Komm, mach die Augen auf!«
    Sehr mühsam öffnete ich die Augen. Wo war ich denn hier, wer war das Mädchen neben mir?
    »Lindis, werd doch endlich wach!«
    Oh, Beni, meine Schwester, richtig. Ich zwinkerte, um meinen Blick etwas zu zentrieren, aber es wollte nicht ganz gelingen. Alles war irgendwie verschwommen und nebelig.
    »Sag mal, was hast du getrunken?«
    »Getrunken? Warum?«
    »Oder hast du irgendwas genommen? Tabletten oder so?« »Warum?«
    »Deine Pupillen sind riesengroß. Und du bist total abgedreht. Lindis, es ist schon sechs Uhr, hier wird geschlossen. Wir müssen nach Hause.«
    »Nach Hause, ja.«
    Ich versuchte in eine aufrechte Haltung zu kommen, aber ich war völlig verkrampft. Beni stand neben mir und half mir langsam auf.
    »Es geht schon, Beni.«
    Die Beine knickten unter mir weg.
    »Nichts geht. Ich lasse uns ein Taxi rufen und helfe dir beim Anziehen. Du bist krank, Lindis.«
    »Ich bin nicht krank. Ich bin nur müde, das ist alles.«
    »Ja, ist gut. Nun komm!«
    Wahrscheinlich hatte Beni sehr viel Mühe mit mir, aber ich war heilfroh, dass sie bei mir war. Zu Hause schickte sie mich sofort ins Bett und deckte mich zu, wie eine Mutter ihr krankes Kind. Ich wehrte mich nicht. Ich war so erschöpft, dass ich kaum noch einen Gedanken fassen konnte. Eigentlich wunderte ich mich noch nicht einmal, dass ich wieder von dem Mädchen Danu geträumt hatte. Nur war diesmal eine Kleinigkeit anders gewesen. Ganz zum Schluss, kurz bevor Beni mich geweckt hatte, vermeinte ich mich zu erinnern, dass ich selbst Danu gewesen war.
    Der Wahnsinn verstärkte sich. Aber daran konnte ich im Augenblick auch nichts ändern. Ich zog die Decke über mich und versank ins Dunkel. Und aus der Dunkelheit kamen die Farben in einem Strudel von Kreisen, Linien und Spiralen.

8. Faden, 2. Knoten
    Die ersten kalten Winde

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