Die keltische Schwester
noch durch. Es sind ja noch nicht einmal zwei Monate.«
»Na gut, du musst es wissen, ältere Schwester. Übrigens, noch eine ganz andere Sache.«
»Ja?« Wenn Beni so fragte, lag immer etwas in der Luft.
»Vanessa hat mich gefragt …«
»Vanessa? Kenne ich die?«
»Ich hab’ dir doch schon ein paar Mal erzählt, dass Vanessa Sarahs Kusine ist.«
»Oh, na ja, gut. Also, was ist mit Vanessa?«
»Vanessas Tante hat eine Galerie. Und sie hat Vanessa gefragt, ob sie ihr im Weihnachtsgeschäft helfen kann. So Geschenke einpacken, Bilder sortieren, abstauben und solche Sachen. Sie bezahlt zwölf Euro die Stunde«
»Schön für Vanessa.«
»Ja, nicht? Vanessa hat nämlich mich gefragt, ob ich das nicht machen will, weil sie hat doch dreimal in der Woche nachmittags Training, weil sie bei den Aufführungen an den Adventssonntagen tanzen muss, da haben sie nämlich ihre Auftritte im Altersheim und bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung und in der Stadthalle mit ganz normalem Publikum, was unheimlich wichtig für sie ist, denn sie hat dieses Jahr eine ganz besondere Rolle, weil sie doch jetzt auch auf Spitzen tanzt. Vanessa macht nämlich Ballett!«
Ratatatata – Puff! Derartiger Überschwang ließ mich grinsen. Ich versuchte das Wesentliche zu abstrahieren und fasste zusammen: »Bekomme ich das richtig mit? Weil Vanessa tanzt, sollst du in der Galerie ihrer Tante arbeiten.«
»Mhmh.«
»Und richtig Geld verdienen?«
»Mhmh.«
»Und wann machst du deine Hausaufgaben?«
»Abends.«
Beni schien die Anfangsschwierigkeiten in der Schule überwunden zu haben und stieg beharrlich an die Spitze aller Kurse. Sie ist eine hervorragende Schülerin und hatte zum Glück am Schumann-Gymnasium Lehrer gefunden, die sie zu erstaunlichen Leistungen motivieren konnten. Ich machte mireigentlich überhaupt keine Sorgen, dass ihr Lerneifer oder ihre Noten unter einer solchen Beschäftigung leiden würden. Und wenn sie mal eine Arbeit versiebte, würde sie es schon selbst schnell genug merken. Dagegen war die Erfahrung, mit eigener Hände Arbeit Geld zu verdienen, es durchaus wert, so früh wie möglich gemacht zu werden. Wenn mir auch klar war, dass unsere Mutter eine solche Einstellung strikt ablehnte, ich fand es gut, dass Beni diesen Job annehmen wollte.
»Na dann steig mal in das Berufsleben ein. Wie kommst du zu dieser Galerie, wie heißt sie, und wer ist die Tante?«
»Ich kann mit dem Bus nach der Schule da hin, der Laden heißt ›Schöne Sachen‹, die Tante Teresa de la Fuente. Ich kann bei ihr zu Mittag essen.«
»Was, nicht nur Geld, auch Verpflegung? Weiß diese Señora de la Fuente eigentlich, was sie sich damit antut?«
»Ich kann mich auch bezähmen!« Beni sah mich vorwurfsvoll an. »Außerdem kriege ich ja hier abends noch was. Also ich darf, ja?«
»Natürlich. Wir müssen Mutter ja nicht gleich davon in Kenntnis setzen, sonst zieht sie mir die Ohren lang.«
»Ich hatte nicht vor, davon mit irgendwem außer dir zu reden.«
Es klingelte an der Tür, und Beni sprang auf, um zu öffnen.
4. Faden, 2. Knoten
Am nächsten Morgen fühlte ich mich so fit wie schon lange nicht mehr. Ich hatte gute Laune, als ich in mein Büro ging und schwungvoll meinen Aktenkoffer in die Ecke stellte. Als ich meine Post aus dem Sekretariat holte, empfing mich Karola mit einer herzlichen Begrüßung.
»Ah, Lindis, geht es dir wieder besser? Ich hatte mir ja schon solche Sorgen gemacht. Eigentlich wollte ich gestern, nachdem ich Jessika-Milena abgeholt hatte, noch mit ihr bei dir vorbeischauen, aber deine Schwester hat mir gesagt, dass du endlich eingeschlafen seist. Da wollte ich natürlich nicht stören.«
Das war also die Besucherin, die Beni als »Kinder, die Klingelputzer gespielt haben« bezeichnet hatte. Nun ja.
»Danke, Karola. Aber ich brauchte einfach mal einen Tag im Bett, ich bin am Sonntag ein bisschen zusammengeklappt.«
»Kreislauf, nicht? Das geht mir auch oft so. Weißt du, da gibt es ein ganz tolles Mittel, das hat mir unser Dr. Neumann verschrieben, zu dem ich auch immer mit Jessika-Milena gehe. Das ist wirklich ein Engel von Arzt. Du musst unbedingt mal zu ihm gehen und dich gründlich durchchecken lassen. Hier, ich gebe dir die Telefonnummer.«
Ich nahm den Zettel an, kam aber nicht dazu, mich zu bedanken, denn die Rufanlage erwachte zum Leben.
Die Idee, einmal mit all meinen Wehwehchen zum Arzt zu gehen, war nicht ganz abwegig, dachte ich noch auf dem Weg in mein Zimmer. Aber schon als ich die erste
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