Die keltische Schwester
zugeben. Jedenfalls suchte ich dann morgens nach der Telefonnummer deines Hausarztes, aber da war nur so ein Zettelchen mit dem Namen von Dr. Neumann. Zumindest war der Mensch erreichbar.«
»Oh, das ist Jessika-Milenas Arzt!«
»Drum. Zumindest deckte sich seine Diagnose mit meiner. Wir stellten beide eine heftige Grippe fest. Aber er hätte dich am liebsten in die Intensivstation vermittelt, weil ich doch so ungeeignet für die Pflege meiner Schwester bin. So ein junges Fräulein wie ich!«
»Für ein so junges Fräulein hast du das ganz gut hingekriegt. Das ist ein Lob aus dem Munde einer Betroffenen.«
»Danke, gute Frau. Jetzt habe ich genug gequasselt. Ich denke, es wäre doch an der Zeit, dass du mir mal deinen Alptraum erzählst, nicht? Oder ist der nicht jugendfrei?«
Ich rutschte abwehrend tiefer in meine Kissen, aber Beni war unbarmherzig.
»Los, hab dich nicht so! Worum ging es? Ich hab doch so einen Anfall jetzt schon zum zweiten Mal mitbekommen.«
»Anfall ist gut. Ich weiß nicht, ob ich geistig noch so ganz gesund bin. Und ich habe Angst, wenn ich jemandem erzähle, was sich da abspielt, werde ich gleich eingewiesen.«
»Schlichte Schizophrenie ist zwar nicht heilbar, aber besser eine harmlose Irre als Schwester als ein solches Wrack wie das, was du in den vergangenen Monaten abgegeben hast.«
»Rau, aber herzlos. Bin ich mit dir überhaupt verwandt?«
»Klar. Du konntest bisher in deinen lichten Augenblicken auch ganz amüsant sein. Also, mein Ohr ist bereit für deine Wahnsinnsstory!«
Ich seufzte.
»Also gut. Seit ich im Frühjahr von meinem Urlaub aus der Bretagne zurückgekommen bin, habe ich in unregelmäßigen Abständen von einer jungen Keltin geträumt, die vor vermutlich etlichen Tausend Jahren dort gelebt hat. Sie heißt Danu und ist auf einem Auge blind.«
»Stark!«
»Findest du?«
»Mensch, ja doch. Eine echte Rückführung, oder?«
»Was ist Rückführung?«
»In eines deiner früheren Leben natürlich. Da bezahlen andere Leute richtig Geld für, und du kriegst das im Schlaf. Erzähl mehr!«
»Du hältst mich nicht für verrückt?«
»Natürlich nicht. Das ist total normal.«
Womit hatte ich eine solche Schwester verdient? Mit leuchtenden Augen saß sie an meinem Bett, vorgebeugt und mit einem Gesichtsausdruck, den sie als kleines Kind hatte, wenn man ihr eine besonders schöne Gute-Nacht-Geschichte erzählte.
»Also gut. Diese Danu lebte an dem Ort, den ich dort besucht hatte. Es steht da so ein alter Menhir herum, der taucht in den Szenen immer wieder auf. Es gab damals dort ein kleines Bauerndorf, nichts Spektakuläres. Das Leben scheint ziemlich ärmlich gewesen zu sein und verhältnismäßig eintönig. Danu wurde von einem – ich weiß nicht, ob das richtig ist – Druiden ausgebildet, weil sie mit ihrem blinden Auge in die Zukunft sehen konnte. Als sie so um die zwanzig war, wurde das Dorf überfallen, und sie hat mit dem Schwert in der Hand gekämpft. Später hat sie dann die Verwundeten gepflegt und sich dabei in den Anführer der Fremden verliebt. Es gab dann irgendwie eine große Trockenheit, und sie haben, glaube ich, einen weißen Hirsch geopfert. Die Geschichte endet mit einem gewaltigen Unwetter, was ja wohl heißen kann, dass das Opfer gewirkt hat. Aber in meinem Fiebertraum war es wieder ganz anders. Ich war wieder bei ihr, nur schien mir, sie war genau wie ich in eine Situation geraten, in der sie völlig verzweifelt war. Ich habe nicht von ihr geträumt, sondern nur von einem absolut, abgrundtief, unendlich trostlosen Land. Es war so entsetzlich hoffnungslos, ich war so voller Trauer.«
»Und dann hast du geweint, und die Erde wurde wieder fruchtbar.«
Ich sah sie erstaunt an.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Ich habe den letzten Teil deines Traumes mitgeträumt, zumindest glaube ich das jetzt. Aber das ist ja eine affengeile Geschichte!Hast du schon herausgefunden, ob Danu wirklich gelebt hat? Vielleicht gibt es ja ein Grab da oder so. Oder alte Aufzeichnungen?«
»Ach, Beni, was bist du erfrischend! Nein, ich habe keine Nachforschungen angestellt. Ich hatte doch viel zu viel Angst, dass ich spinne.«
»Du spinnst kein Stück. Weißt du was? Wir versuchen beide herauszufinden, was sich da abgespielt hat. Ich gehe gleich morgen in unsere Bücherei und hole alles, was es über die Geschichte der Bretagne gibt. Hast du noch irgendwelche Anhaltspunkte? Sind mal Ereignisse genannt worden?«
»Nein, ich sagte doch, es war verhältnismäßig
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