Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
»Du redest immer von Selbstbestimmung und › folge deinem eigenen Weg ‹ ! Aber in Wirklichkeit soll ich nur einem einzigen Weg folgen – deinem Weg! Mal ehrlich: Kommst du dir nicht manchmal wie ein Heuchler vor, Andar?«
Der dunkelhäutige Mann zuckte mit keiner Wimper. Trotzdem konnte Nelen deutlich spüren, dass Endriels Worte ihm wehtaten. Sie hatte Mitleid mit dem Menschen, aber sie konnte auch ihre Freundin gut verstehen.
Doch sie hätte es niemals gewagt, sich einzumischen.
»Ich lebe wie ich es für richtig halte«, sagte Endriel. »Das ist meine Entscheidung! Und weder du noch Yanek werdet daran etwas ändern! Ich bin frei, Andar, kannst du das nicht verstehen? Ich bin frei, und ich habe vor, es zu bleiben!«
»Frei?« Telios musterte das leuchtende Kraftfeld und zog eine Augenbraue hoch. »Ist das deine Definition von Freiheit?«
»Du kannst mich mal!« Endriel wandte sich wieder ab. Sie verschränkte die Arme und starrte finster vor sich hin.
»Wie lange soll das noch so gehen, Endriel? Wenn du so weitermachst, wirst du eines Tages in einen Abgrund fallen, aus dem du nicht wieder herauskommst. Und glaub mir, es trennt dich nicht mehr viel davon, den Rest deines Lebens an einem Ort wie diesem zu verbringen.« Er ballte die rechte Hand zur Faust. »Alles, was ich möchte, ist, dir das zu ersparen. Und das gilt ebenso für deine Freundin.«
Zum ersten Mal sah Telios Nelen an. Aus Respekt vor dem Admiral hatte sie sich auf die Stange gesetzt, anstatt davon herabzuhängen.
»Was ist mit dir, Nelen? Kannst du nicht ein bisschen Vernunft in diesen Dickschädel hämmern?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich, äh, finde Endriels Einstellung eigentlich ganz vernünftig, Admiral.«
»Du bist noch ein Kind«, sagte Telios, als wäre dies eine ausreichende Antwort. Er wandte sich wieder an Endriel, die dem Friedenswächter nach wie vor nicht in die Augen sah.
Warum kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen, Andar?, dachte sie. Yanek und du – warum könnt ihr nicht begreifen, dass ich nicht wie ihr bin?
Und wenn es stimmte? Wenn sie mit ihrem Dickkopf nicht nur sich selbst, sondern auch Nelen geradewegs ins Verderben führte? In lebenslange Haft oder Schlimmeres?
Telios’ Leben lief auf berechenbaren Bahnen. Er konnte seine Zukunft zwar so wenig vorhersehen wie jeder andere, aber zumindest konnte er abschätzen, was die nächsten Jahre ihm brachten. Sie dagegen konnte nie weiter planen als für ein paar Monate – und manchmal weniger.
»Vielleicht sollten wir erstmal das Thema wechseln«, sagte der Admiral, als er bemerkte, dass seine Worte etwas in Gang gesetzt hatten.
»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.«
»Du hast diesen Draxyll nach Strich und Faden zusammengeschlagen.« Ein Körnchen Bewunderung schwang in Telios’ Worten mit. »Dutzende Blutergüsse, eine Hornfraktur, zwei gebrochene Rippen ...«
»Hey, ich habe auch ganz schön was abgekriegt!« Endriel deutete auf das Pflaster auf ihrer Stirn.
»Ein Kratzer«, sagte Telios. »Ich würde zu gern wissen, was er dir getan hat. Oder besser: euch beiden. Denn wie es aussieht, hat eine gewisse Yadi ihre Hörner an ihm ausprobiert.«
»Das war reine Selbstverteidigung, Admiral!«
»Was soll das, Andar?« Endriel zog ein Bein auf die Pritsche und schlang die Arme darum. »Du weißt doch genau, dass wir nicht durch die Straßen ziehen und wahllos Leute verprügeln. Warum fragst du nicht deine Freunde in Weiß, was passiert ist? Ich jedenfalls habe keine Lust, das alles zum tausendsten Mal durchzukauen.«
»Ich habe sie gefragt. Und den Bericht gelesen. Die Geschichte von eurem mysteriösen Verfolger, der euch gezwungen hat, in einer Seitenstraße zu verschwinden, wo ihr dann Zeugen des Kampfes wurdet.«
»Und was ist daran so unglaublich?«
»Wie wäre es mit: einfach alles?«
Endriel seufzte. Sie hatte keine Lust mehr zu streiten. »Nelen und ich haben nur einem Mitbürger in einer Notsituation geholfen. Als Dank dafür sperrt man uns ein. Ich will ja niemandem zu nahe treten, Andar, aber irgend etwas ist da doch faul.«
»Tja, wer weiß, vielleicht geschieht auch bald ein Wunder und man lässt euch als Belohnung für euren Heldenmut hier raus.« Telios’ wissendes Lächeln verwirrte sowohl Endriel als auch Nelen. Dann fügte er hinzu: »Obwohl ich persönlich es vorziehen würde, dich noch ein bisschen hier drin schmoren zu lassen. Damit du dir Orte wie diesen abgewöhnst.«
»Das kann ich mir vorstellen«, murmelte Endriel.
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