Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
sah.
Er zog seine Jacke enger um die Schultern. Es war kühler geworden. Die Dämmerung stand bevor und ein einsamer, dünner Junge hatte keine Ahnung, wo er die Nacht verbringen sollte. Nun verstand er, wie sein Vater sich damals gefühlt haben musste, als seine Träume wie Seifenblasen zerplatzt waren. Aber im Gegensatz zu Tonn Gorlin hatte Miko nicht das Bedürfnis, jemandem weh zu tun. Er wollte einfach nur vom Erdboden verschluckt werden und nie wieder auftauchen.
Sein Bauch knurrte. Woher sollte er sein Essen bekommen? Bei seiner Flucht hatte er keine Zeit gehabt, Proviant mitzunehmen. Geld hatte er auch keines, nicht einen einzigen Shenn.
Das hast du nun davon , flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Kaum fasst du einen eigenen Entschluss, geht alles in die Hose.
Halt’s Maul , dachte Miko zurück. Das weiß ich selbst.
Eine salzige Brise blies ihm entgegen. Miko erschrak, als plötzlich etwas seine Augen, die Nase und den Mund verdeckte. Er fuchtelte mit den Händen und befreite sein Gesicht. Ein Zettel war ihm ins Gesicht geweht, ein zerfetzt aussehendes Flugblatt, auf dem ein Fußabdruck prangte. Er blickte sich unsicher um. Hatte ihn jemand absichtlich beworfen? Aber niemand beachtete ihn. Und so starrte er auf das Papier, als wäre es die persönliche Botschaft des Universums an ihn:
Korona-Transport:
Wir erledigen Beförderungen aller Art – gleichgültig ob Güter oder Personen – schnell, sicher und vor allem preisgünstig.
Sie finden uns in Dock 21, Ringhafen, Teriam.
Meine Mannschaft und ich freuen uns darauf, Sie an Bord begrüßen zu dürfen,
Kapitän Endriel Naguun.
In der Mitte war ein schlecht gedrucktes Drachenschiff abgebildet. Korona-Transport . Er konnte sich nicht erinnern, bei diesem Schiff schon gefragt zu haben. Aber eines erkannte er sofort: Wer immer die Leute waren, die dieses Flugblatt erstellt hatten, sie mussten absolute Amateure sein! Und genau deshalb würden sie ihn vielleicht nicht wie die anderen wieder fort jagen!
Miko ließ das Flugblatt sinken und blickte gedankenverloren zum porzellanblauen Himmel. Das war sie! Seine letzte Chance!
»Dock 21, Dock 21, Dock 21«, murmelte er wie ein Mantra vor sich hin. Dock 21 – das war nur einige hundert Meter die Straße hinunter! Auf einmal beschleunigte Miko seinen Schritt; er lief so schnell, dass der Seesack ständig gegen seine Schulter schlug. Seine letzte Chance; wenn es diesmal nicht klappte, konnte er sich immer noch über den Rand der Scheibe werfen!
Drei Stunden waren vergangen, seit sie in Teriam angelegt hatten. Während Endriel, Nelen und Keru auf den Straßen Handzettel verteilten, hatte sich Xeah um das verspätete Mittagessen gekümmert; die erste richtige Mahlzeit, die an Bord zubereitet wurde. Als die drei zurückkehrten, fand sich die Mannschaft auf der Brücke ein, um gemeinsam zu essen.
Sie versammelten sich um die Navigationskarte, auf deren bunter Oberfläche Teller mit gedünstetem Gemüse, gebutterte Maiskolben und eine Schüssel Obstsalat standen. Keru gab sich mit einer einzigen Scheibe rohen Fleisches zufrieden und Endriel versuchte, nicht hinzusehen, als er es in sich hineinschlang. »Ich nehme an, es hat sich niemand gemeldet, während wir fort waren?« Sie sah Xeah an, die neben ihr saß.
»Leider nein.« Die Draxyll bewegte ihren Schädel einmal nach links, einmal nach rechts. »Keine Kundschaft. Dafür aber auch keine weiteren Geldeintreiber.«
Endriels Schultern sanken herab.
»Was erwartest du?«, brummte Keru. Der Skria saß Endriel gegenüber und wischte sich die blutige Schnauze mit einem feuchten Handtuch ab. »Wir sind erst vor ein paar Stunden hier gelandet. Hast du geglaubt, das Geld fliegt uns zu, sobald wir die Magnetanker auswerfen?«
»Ziemlich frommer Wunsch, was?« Missmutig spießte sie ein Stück Rosenkohl mit ihrem Essstäbchen auf. Sie dachte an ihre Reklametour durch die Stadt, von der sie eben erst zurückgekehrt waren.
Nelen hatte Recht gehabt, Endriel war keine Geschäftsfrau. Tatsächlich hatte sie ungefähr so viel Ahnung von Buchhaltung, Rechnungswesen und dergleichen wie vom Angeln – gar keine.
Aber sie wusste, was ein erfolgreiches Unternehmen brauchte: Kundschaft. Oder besser: viel Kundschaft. Und es gab nur eine Möglichkeit, Korona-Transport bekannt zu machen: Reklame. Mundpropaganda würde sich später einstellen. Was sie zuallererst benötigten, waren Plakate, Flugblätter und ähnliches. Da allerdings in der Schwebenden Stadt das Aufhängen
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