Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
von Plakaten verboten war (oder ein Heidengeld kostete), war sie zu dem Entschluss gekommen, dass es das Beste sein würde, Handzettel zu verteilen.
Anderthalb Stunden lang hatten Endriel und Nelen daran getüftelt. Keine von ihnen hatte jemals ein Flugblatt entworfen. Aber es entpuppte sich als spaßige Angelegenheit.
»Die erste Regel der Werbung«, hatte Endriel erklärt. »Wenn du etwas verkaufen willst, musst du es absolut unwiderstehlich für die Leute machen.«
Nelen war nicht ganz überzeugt gewesen. »Glaubst du, du kriegst das hin?«
»Ich denke schon.«
Naturgemäß hatte sie einige Anläufe gebraucht, bevor sie zufrieden war. Erst nachdem Versuch einundzwanzig sich zu dem Berg aus zerknülltem Papier gesellt hatte, glaubte sie, die Korona einigermaßen getroffen zu haben, deren Bild die Blattmitte zieren sollte.
Nelen hatte ihr geholfen, den Werbetext zu entwickeln: »Wie wäre es mit: › Kapitän Endriel Naguun und ihre tollkühne Mannschaft übernehmen für Sie jeden Auftrag, egal ob bei Tag oder Nacht, bei Regen oder ... ‹ «
»Klingt irgendwie unseriös.«
»Hast du etwa einen besseren Vorschlag?«
Endriel hatte sich zurückgelehnt und nachdenklich am Füllfederhalter gekaut. »Ich glaube, schon.« Sie hatte ihre Idee zu Papier gebracht. »Und? Was hältst du davon?«
Nelen hatte den Kopf leicht schräg gelegt und das Ergebnis begutachtet. »Na ja, es ist nicht unwiderstehlich, aber in Ordnung.«
Dem ersten Entwurf folgten gut sechzig handgefertigte Kopien. Für die Zeichnung bastelte Endriel einen Stempel aus einem alten Schwamm. Akribisch schrieb sie den Text daneben und hatte bald das Gefühl, ihre Hand wäre mit dem Schreiber verwachsen.
Nelen war zu Xeah geflattert, damit sie die fertigen Zettel im Zentralkorridor zum Trocknen aufhängte, während sich Endriel schon das nächste Blatt geschnappt hatte und schrieb und schrieb und schrieb.
Keru hatte daneben gestanden und sich einen Kommentar verkniffen.
Endriel hatte gewusst, was er dachte: Ihr macht euch die Mühe völlig umsonst . Ihr war vollkommen klar, dass es professioneller, sauberer und einfacher gewesen wäre, eine Druckerei zu beauftragen, die Hunderte von Flugblättern hergestellt hätte. Aber das hätte unnötig Zeit und vor allem Geld verschlungen. Und Endriel wollte so bald wie möglich Ergebnisse. Als sie schließlich kein Gefühl mehr in ihrer Hand gehabt hatte und ihre Fingerspitzen schwarz waren, hatte sie aufgegeben. Flugblatt Nummer 63 war nur zur Hälfte fertig geworden.
»Nun müssen wir die Dinger nur noch unters Volk bringen!«
Zusammen mit Keru und Nelen war Endriel quer über die Hauptstraße des Ringhafens marschiert, auf die überfüllte Innenstadt zu, wo der Basar wie ein Amok laufender Karneval tobte und hatte mit gewinnendem Lächeln verblüfften Passanten Reklameblätter für den » Korona-Transport « in die Hand gedrückt.
Leider hatte sie in ihrem Übereifer übersehen, dass die meisten das Papier ungelesen zerknüllten. Und Nelen hatte ihren Enthusiasmus nicht dämpfen wollen, indem sie es ihr mitteilte.
Dafür war der frischgebackene Drachenschiffkapitän zu einer ganz anderen Erkenntnis gekommen: nämlich, dass sich Keru eindeutig nicht zu Werbezwecken eignete.
Der Skria, wieder in seinen Kapuzenmantel gehüllt, ließ, anstatt auf die Leute zuzugehen, die Flugblätter dezent zu Boden gleiten, wo ignorantenhafte Krallenfüße, Stiefel oder Hufe über sie hinwegtrampelten. So dauerte es nicht lang, bis ihnen die Zettel ausgegangen waren.
»Tja, jetzt können wir nur noch warten«, hatte Nelen gesagt.
»Es wird schon funktionieren«, war Endriels Antwort gewesen, während sie gedacht hatte: Hoffe ich jedenfalls.
Jetzt saß sie hier, stocherte lustlos in ihrem Essen und rang mit ihrer Enttäuschung.
»Alles im Universum hat seine Zeit«, erklärte Xeah. »Hab noch ein bisschen Geduld.«
»Ich bemühe mich ja«, sagte Endriel und nahm einen Schluck Tee. »Wirklich.«
Bis gestern war sie noch eine Kriminelle gewesen. Der plötzliche Wechsel in ein ehrbares Leben war wie ein Sprung ins kalte Wasser. Sie lächelte bei dem Gedanken: von einer Diebin zur Besitzerin eines Transportunternehmens. Das war weit außerhalb ihrer Erfahrung.
Xeah hatte Recht: sie musste geduldig sein, ihr blieb gar nichts anderes übrig. Ich tue das alles auch deinetwegen, Yanek , dachte sie. Ich hoffe, du weißt es zu schätzen.
Der Gedanke an ihren Vater erinnerte sie an etwas anderes. Es gab noch etwas zu tun,
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