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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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wandte Danielle ihren Kopf zu Magdalène.
    «Warum hast du mir das verschwiegen?»
    «Was verschwiegen?»
    «Tu nur nicht so unschuldig. Du hättest mir sagen müssen, dass Carolus mit Catherine verlobt ist.»
    «Oh, ist er das? Stimmt. Das hatte ich schon ganz vergessen. Sie sind einander ja schon so lange versprochen, und es wurde nie mehr daraus. Es hat wohl nichts mehr zu bedeuten.»
    «Wie kannst du nur! Du fragst mich, ob er mir gefällt, und weckst Hoffnungen in mir, die ich doch längst begraben wollte. Und nun das! Und wie kann er es wagen, mich so zubeleidigen? Er ist verlobt und will auch noch mit mir etwas anfangen!»
    «Will vielleicht. So genau weißt du das doch nicht», flüsterte Magdalène in die Dunkelheit.
    «Das wäre ja noch schlimmer. Er hat mir schöne Augen gemacht und meint es nicht einmal ernst? Erbärmlich!», empörte sich Danielle.
    «Der arme Carolus. Er kann es dir nicht recht machen», sagte Magdalène still.
    «Es ist auch ganz gleich. Nie würde ich einer anderen Frau den Mann stehlen!»
    «Schscht! Hört schon auf zu wispern, ihr zwei da hinten!», riefen die anderen. «Lasst uns teilhaben oder lasst uns schlafen.»

14.
    Die Flügel des Engels waren weiß. Die Tauben hatten sie ihm eingefärbt. An den Füßen trug er dicke, weiche Schuhe aus Moos. Wer ihn gemacht hatte, das wusste niemand mehr. Er war klobig und grobschlächtig, etwa eine Armlänge hoch und hatte im Ganzen eine Figur wie ein Baumstumpf. Da stand er auf einem Gefäß, das ein Pokal, aber auch eine Urne gewesen sein konnte, und wies mit seiner Rechten zum Erdreich hin. Der Sage nach war er es gewesen, der einem Hirten an dieser Stelle eine Quelle gezeigt hatte. Um diese ergiebige Quelle herum hatte sich die erste Siedlung auf dem Hügel oberhalb des Überschwemmungsgebietes der Durance gebildet. Um diese Quelle herum war Pertuis entstanden. Der Engel hatte dem Platz seinen Namen gegeben. Von seinem erhabenen Platz aus, mitten im Brunnenbecken, hatte er vieles gesehen und vieles gehört: friedliches Markttreiben und Feilschen, Streit, zerbrochene Krüge und Hoffnungen, Arbeit und Hast, Menschen, die andere Menschen in Ketten vorbeiführten. Der Anblick brennender Menschen und Katzen, der Anblick der Unglücklichen am Pranger blieb ihm erspart. Galgen und Scheiterhaufen wurden auf dem Marktplatz vor dem Schloss errichtet.
    Es waren vor allem die Frauen, denen er zuhörte, Frauen, die Wasser holten, Mägde, einfache Bürgerinnen, arme Weiber. Und wenn er ihren Streitereien lauschte – dass dieser Vorrang gebührte, weil sie einem der bessergestellten Häuser diente, oder jener, weil sie wegen ihres Alters den Respekt der Jüngeren verdient hatte   –, dann hätte er nachsichtiggelächelt, wenn es ihm seine steinernen Züge erlaubt hätten.
    Vielleicht floss die Quelle reichlicher von seinen Tränen, wenn er die Bosheiten und Intrigen anhören musste, die Frauen dort am Brunnen ausheckten und spannen. Niemals hätte er der Aussage zugestimmt, die Weiber seien schwach und von Natur aus friedfertiger als der Mann. Aber natürlich: Niemand fragte ihn.
    «Oh, liebe Catherine, du Gute! Wie duldsam und sanftmütig du bist. Das ist zu bewundern», sagte die Wollweberin Aneta, die mit den anderen Frauen nach Wasser anstand an diesem Morgen. Catherine oblag es, den Vidal’schen Haushalt zu überwachen, da Laura hochschwanger und unpässlich war. Sie hatte sich dazu entschlossen, mit den Mägden zum Brunnen des Engels zu gehen an diesem Morgen. Sie musste zwar das Wasser nicht selbst nach Hause tragen, doch sie nahm gern die Gelegenheit zu einem kleinen Spaziergang in der Morgenfrische wahr und traf Bekannte.
    Catherine zog die Augenbrauen hoch.
    «Ja, ist sie nicht verehrungswürdig, eine Heilige fast? Catherine, ach, arme Catherine, wie schmerzt es mich zu sehen, dass dein Vertrauen so schmählich hintergangen wird!», fuhr Aneta fort.
    ‹Oh, wie plump und doch immer wieder wirksam›, dachte der Engel. ‹Menschliche Schliche! Niemand wird gern auf diese Weise bemitleidet, denn eine jede versteht, was damit gemeint ist: Schau nur, wie dumm du bist, wie schwach. Man kann alles mit dir machen! Und wer es mit sich machen lässt, der hat es nicht anders verdient.› Das meinten sie doch, nicht wahr? Der Engel wäre gern beweglicher gewesen; ach, wie sehr wünschte er sich wenigstens eine Stimme. Er witterte den bösen Gestank seines alten Feindes.
    «Catherine, du solltest vielleicht doch darauf dringen,dass aus dieser

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