Die Ketzerbibel
allerdings, dass sie ein wenig zart und schmal ist. Aber das muss nichts heißen …» Abrupt wandte sie sich ab und ging in die Küche, um Annik bei Auftragen zu helfen. Beim Abendessen drehten sich alle Gespräche um Laura und ihr erstes Kind.
«Es wird schon gutgehen. Auda soll sehr geschickt sein, hat Jeanne gesagt.»
«Ich war auch erst vierzehn bei meinem ersten Kind. Es war eine Viecherei, ja, das war es. Aber die nächsten sechs gingen besser», erzählte Manon.
«Sie war so sicher, dass es ein Sohn wird!»
«Dann wird es einer. Frauen spüren so etwas.»
«Das kann man nicht ahnen.»
«Immer wenn ich Rückenschmerzen hatte in der Schwangerschaft, dann ist es ein Mädchen geworden. Meine Söhne haben mir nie solche Schwierigkeiten gemacht.»
«Man soll es beeinflussen können: Wenn man einen Jungen will, dann soll man in der Schwangerschaft viel Salziges essen, wenn man ein Mädchen will, dann soll man Süßes essen.»
«Ich habe gehört, wenn ein Mann einen Sohn will, dann soll er den getrockneten Magen und die getrocknete Vulva einer Häsin zerstoßen und in Wein auflösen und davon trinken, bevor er mit seiner Frau Verkehr hat», sagte Annik mit wichtiger Miene.
«Das ist ja lächerlich!», sagte Danielle. «Lass Jeanne das nicht hören!»
«Egal, was es wird, Mestre Marius wird den kleinen Engelnach Strich und Faden verwöhnen. Und ein Engel muss ein Kind von unserer Laura ganz gewiss werden.»
«Gebba, hast du das Wickeltuch schon fertig, das wir Laura für ihr Baby schenken wollten?»
«Ja, es ist fertig, und kein Königskind müsste sich dessen schämen!»
Sie beteten gemeinsam für Laura und ihr Kind.
Doch am Abend kam Jeanne erschöpft und niedergeschlagen zurück.
«Die arme Laura! Das Kind will einfach nicht heraus! Sie hat sich den ganzen Tag gequält. Auda ist bei ihr geblieben. Und sie haben einen Arzt gerufen.»
«Carolus?»
«Nein, Doktor Renzi, den Leibarzt von Herrn Bonnefoy.»
Juliana warf Danielle einen prüfenden Blick zu, doch die drehte sich um und machte sich mit verschlossener Miene im Garten zu schaffen. Am anderen Morgen lief Jeanne noch einmal zum Haus der Vidal. Erst nach Stunden kam sie wieder. Die Beginen liefen zusammen und befragten sie aufgeregt, doch sie schüttelte nur stumm den Kopf. Eine nach der anderen schlichen die Schwestern wieder davon und an ihren Arbeitsplatz. Sie murmelten Gebete. Eine bedrückte Stille lag über dem Hof. Am Abend gab es immer noch keine besseren Nachrichten.
«Es dauert viel zu lange!», sagte Jeanne. «Beim ersten Mal ist es immer schwerer, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Und der Arzt – ich fürchte, er hat alles nur noch schlimmer gemacht. Er hat die arme zarte Laura hin und her gerollt, um das Kind in die richtige Lage zu bringen, und hat ihr ein Abführmittel gegeben, der Idiot! Kann man sich so etwas vorstellen?! Jetzt hat sie noch mehr Schmerzen, und ich fürchte um das Kind.»
Juliana konnte keinen Schlaf finden. Etwas nagte an ihr.Da war ein Gedanke, der wie eine Motte am Rand ihres Verstandes entlangtaumelte. Sie versuchte ihn einzufangen, aber er entkam ihr. Endlich, gerade als der Schlaf sie überkam, da stand plötzlich ein Bild ganz klar in ihrem Geist. Sie öffnete die Augen und stand auf. Leise tappte sie durch das Scriptorium, wo Anne auf der Bank unter dem Fenster schlief.
«Anne!»
«Was …» Schlaftrunken richtete die Schreiberin sich auf.
«Nimm ein Licht und komm mit mir!»
Anne rappelte sich hoch und saß einen Moment benommen auf dem Bettrand. Juliana zündete zwei Öllampen an und gab Anne eine davon. Anne folgte ihr in den Hof.
«Wohin willst du? Was ist?»
«Psst!» Juliana legte den Finger auf die Lippen. Sie winkte Anne, ihr zu folgen, über den Hof und durch den Garten. Silbrig schimmerten die Heilkräuter, Fledermäuse sausten durch die Luft. Juliana ging am Brunnen vorbei, entlang an Ataregia und Feniculum, die in der Nacht süßer und intensiver dufteten als bei Tag. Eine Siebenschläferfamilie turnte im Apfelbaum und glotzte mit ihren großen schwarzen Perlaugen auf sie herunter. Sie waren daran gewöhnt, nachts den Garten für sich allein zu haben.
«Mir ist etwas eingefallen», sagte Juliana. Sie öffnete die Tür zur Weberei. Die ledernen Türriemen knarrten. Wie Walgerippe tauchten die hölzernen Gestelle aus dem Dunkel auf, voller Spinnweben und Fetzen. Anne stolperte über einen Korb mit Rohwolle und schrie leise auf.
«Aie!»
«Hier! Sieh es dir genau an! Was
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