Die Ketzerbibel
Brand die Ungläubigen hinwegfegen. Die Sarazenen werden bekehrt. Und der Heilige Geist wird über alle Armen und Rechtgläubigen ausgegossen. Ein Zeitalter der Vernunft und der Liebe wird kommen», rief Barbara.
«So? Das hat Petrus Olivi geschrieben und für das 13. Jahrhundert vorhergesagt. Aber das 13. Jahrhundert ist vorübergegangen, und nichts dergleichen ist geschehen!»
«Was sind schon hundert Jahre für den Herrn, der ewig ist?»
«Geschwätz! Halbwahrheiten, halb gelesen und zu einem Viertel verdaut! Aber du wirst keine Gelegenheit mehr bekommen, die einfachen Leute mit deinen Lügen zu verwirren. Dieses Buch stammt nicht aus Toulouse. Sag schnell: Wer hat es dir gegeben? Wer verbreitet dieses Machwerk im Land?»
«Ich habe es ihr gegeben. Ich habe dieses Buch unterwegs kopiert», sagte Danielle.
«Lächerlich! Hast du etwa auf dem Waldboden kniend geschrieben? Mit Tinte aus Gras und vielleicht einer Engelsfeder?», höhnte der Inquisitor.
«Ich habe abends in den Herbergen geschrieben, in denen wir genächtigt haben.»
«Du lügst. Sage mir, wo das Exemplar ist, aus dem du abgeschrieben hast. Und wer besitzt es? Wer hat dir seine Schreibstube zur Verfügung gestellt? Sage es lieber gleich. Wir bekommen es ohnehin aus dir heraus. Es stehen uns Mittel zur Verfügung, die noch jeden zum Sprechen gebracht haben. Nun?»
O nein, dieses Buch war nicht hastig in einer Herberge abgekritzelt beim Schein von Fackeln oder billigen Talglichten. Es war in einem Scriptorium entstanden, und so ein Scriptorium gab es in keiner simplen Herberge. Und Eberhardus bezweifelte, dass dies die einzige Kopie in Umlauf war. Doch es genügte nicht, einzelne Missetäter zu fangen, man musste auch ihre Helfer finden und bloßstellen. Kein Zweifler durfte im Verborgenen bleiben, keine Verfehlung ungestraft, wenn man den Glauben reinigen wollte. Ein Jahrhundert blutiger Aufstände hatte man hinter sich gebracht. Es war schmerzlich, aber notwendig, das Übel an der Wurzel zu packen und die Gemeinschaft der Gläubigen vor den Übereifrigen zu bewahren.
Seine Augen glitten zwischen den beiden Frauen hin und er. Er versuchte abzuschätzen, welche von beiden eher nachgeben würde. In Barbaras Augen sah er die Angst flackern. So, diese da gedachte also billig davonzukommen. Den Tod fürchtete sie nicht, aber die Folter wohl, Verstümmelung, langanhaltende Schmerzen. Er blätterte ein wenig in dem Buch.
«‹Ich bin ganz Schlechtigkeit, und er ist ganz Güte, und darum steht es mir zu, seine ganze Güte zu bekommen …› Steht mir zu? Ist das Demut, die daraus spricht?» Er fixierte Barbara. Seine Stimme wurde laut und voll. Er würde ihre Ohren mit der Gewissheit ihrer Verfehlungen füllen, so wieman ihre Glieder und ihre Gefäße mit Schmerz füllen würde. Von nun an gab es kein Entkommen mehr. Sie war ihm ganz und gar ausgeliefert: «Oh, ich kennen eure Methoden! Ihr kleidet das Gift des Teufels in fromme Worte und imitiert die Schule von Christus. Ihr tut tugendhaft und plappert Bibelsprüche und Gebote, borgt euch hier und da etwas, reißt es aus dem Zusammenhang und biegt es für eure satanischen Zwecke zurecht. Ihr gebt euch den Anschein von Propheten, um damit das einfache Volk zu verwirren und es euch zum Opfer zu machen. Aber wir, die wir geschult und gelehrt sind, wir fallen nicht darauf herein. Wir werden euch das Fleisch vom Leibe reißen, damit der Schmutz und der Schleim darunter hervortreten und alle sich mit Ekel und Entsetzen abwenden!» Genüsslich beschrieb er die Methoden und Stufen der Peinlichen Befragung. Er machte eine lange Atempause. Barbara zitterte. «Es sei denn …», er fixierte sie mit seinem Blick: «Es sei denn, ihr seid ganz und gar geständig und liefert auch eure Helfer und Helfershelfer aus. Dann mag Gott entscheiden, wer von uns recht hat …»
«Pertuis!», schrie Barbara in höchster Angst. «Es waren die Schwestern von Sainte Douceline, ein Beginenhaus in Pertuis! Die haben uns Porete-Bücher gegeben, damit wir sie verteilen sollten. Sie waren es!»
«Das ist nicht wahr», sagte Danielle müde. «Ich war es, ich ganz allein. Ich habe dort eine Weile gewohnt. Sie haben mich aus Güte aufgenommen, weil ich erschöpft und krank war von meinen Wanderungen. Ich habe es ihnen schlecht gelohnt. Ich habe das Buch in ihrer Bibliothek entdeckt, kopiert und weitergegeben ohne ihr Wissen. Die Meisterin von Sainte Douceline hat ihr Exemplar sogleich verbrannt, nachdem bekannt wurde,
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