Die Ketzerbibel
Zwieback, Zwiebelzöpfe, Knoblauchketten, Fässer mit Süßwasser und Wein, Leinwandballen, kuriertes Leder, neue Hanfseile, lebende Hühner und Zicklein. Schweine zerrten sie hinter sich her, um die ausfahrenden Schiffe zu verproviantieren. Und brachten Kupfer und Zinn aus der Levante, Weihrauch, Alaun, Gewürze, Zucker, ägyptisches Leinen, fremdartige Töpferwaren, Glaswaren und Seide. Für all diesen Überfluss hatte Carolus keinen Blick. Rücksichtslos bahnte er sich seinen Weg durch die Menge. Calixtus folgte ihm und entschuldigte sich ununterbrochen bei den beiseite Gerempelten: «Verzeiht, Exzellenz! Entschuldigt meinen Begleiter, meine Herren, habt Nachsicht, entschuldigt! Wir haben es sehr eilig! Es geht um Leben und Tod!»
«Wir haben zwei Beginen in Gewahrsam. Man hat sie in Roquebrussanne beim Predigen erwischt», sagte man ihnen am Gefängnis von Toulon. «Aber wir sind nicht befugt, Euchzu ihnen zu lassen. Wendet Euch an den Inquisitor Eberhardus im Palais des Bischofs! Der hat sich, soviel wir wissen, dieser Frauen angenommen.»
Zurück ging die ganze Drängelei, quer durch die halbe Stadt: «Verzeihung, Madame. Entschuldigt, meine Herren!» Am Bischofspalast wollte man sie zunächst nicht einlassen: «Welchen Inquisitor meint Ihr? Wir haben mehrere davon», fragte der Bruder Pförtner.
«Man sagte uns, Eberhardus bearbeite die Fälle, die uns angehen», antwortete Calixtus höflich.
«Eberhardus … Eberhardus … ja, der ist hier. Aber er ist sehr beschäftigt. Ihr müsst einen Termin machen mit seinem Sekretär, und der ist heute nicht im Hause. Kommt morgen wieder. Dann könnt Ihr den Inquisitor eventuell schon nächste Woche sehen.»
«Nächste Woche?», schrie Carolus außer sich vor Zorn und Ungeduld. «Das geht nicht! Ich bin ein Ketzer und wünsche heute zu gestehen. Sofort! Und nur dem Herrn Eberhardus! Sonst überlege ich es mir anders! Mein Fall hängt mit den Beginen zusammen.»
Calixtus stieß Carolus den Ellbogen in die Rippen.
«Nicht übertreiben, junger Freund!», raunte er.
«Und was Ihr?», fragte der Pförtner Calixtus.
«Ich bin ein wichtiger Zeuge in der Sache. Ich habe hier ein Schreiben des Erzbischofs von Aix für den Inquisitor. Da seht: sein Siegel!»
Der Pförtner kniff kurzsichtig die Augen zusammen und beugte sich über das Siegel auf dem Pergament, das Calixtus ihm vor die Nase hielt. Er wollte schon danach greifen, da zog Calixtus es ihm wieder weg. Der Bruder Pförtner schüttelte misstrauisch den Kopf. «Das ist alles sehr verdächtig, diese Eile. Und eine Selbstanzeige? Der Erzbischof von Aix? Was hat der damit zu tun?»
«Das können wir nur dem Herr Eberhardus selbst sagen. Aber wenn er keine Zeit hat, dann gehen wir eben wieder», sagte Calixtus und wandte sich zum Gehen.
«Wartet hier! Ich werde den Herrn Inquisitor verständigen», hielt der Pförtner ihn zurück. Er winkte einem Söldner, der sich Calixtus und Carolus in den Weg stellte. Langsam schlurfte er davon.
Nach kurzer Zeit kam er wieder, diesmal ganz dienstfertig und eilig.
«Ihr habt Glück! Der Herr Inquisitor hat sofort Zeit für Euch! Aber wehe Euch, wenn Ihr gelogen habt und nur seine Zeit verschwendet! Kommt, hier entlang.»
Er führte sie durch eine Seitentür der Eingangshalle und eine Wendeltreppe hoch in ein Turmzimmer, dasselbe, in dem Danielle und Barbara verhört worden waren.
Eberhardus erhob sich hinter seinem Schreibtisch.
«Danke. Es ist gut.» Er bedeutete dem Bruder Pförtner, der neugierig stehen geblieben war, sich zu entfernen.
«Das Dokument!» Eberhardus streckte gebieterisch die Hand aus, als sich die Tür von außen geschlossen hatte.
Calixtus übergab ihm den Brief des Erzbischofs und neigte den Kopf.
«Ich muss Euch demütigst um Nachsicht bitten. Das Dokument betrifft den vorliegenden Fall nur am Rande. Doch wenn es sich tatsächlich um die Begine aus Pertuis handelt, dann dürfte sie in die Zuständigkeit von Aix fallen.»
«Und Ihr, guter Mönch? Was habt Ihr mit einer Ketzerin zu schaffen?», fragte der Inquisitor.
«Sie ist keine Ketzerin. Das glaube ich nie und nimmer. Ich kenne sie. Sie hat still und fromm in dem Beginenhaus von Pertuis gelebt und sich nie das Geringste zuschulden kommen lassen», entgegnete Calixtus. Doch er war sich nicht ganz sicher und kreuzte vorsichtshalber die Fingerhinter dem Rücken. ‹Lieber Gott, verzeih mir, wenn es nicht stimmen sollte. Ich lüge zu einem guten Zweck!›, dachte er.
«Wie war der Name?
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