Die Ketzerbibel
Danielle? Ich habe nie etwas von einer Danielle gehört. Allerdings waren die Beginen ursprünglich zu viert. Eine ist entkommen, eine andere getötet worden.»
Carolus erstarrte. In seinen Ohren dröhnte es, und sein Herz fühlte sich an wie gefroren. «Getötet?», stammelte er.
«Bitte, sagt mir, wie die zwei Beginen aussehen, die ihr in Gewahrsam habt», forderte Calixtus.
Eberhardus dachte nach. «Eine ist etwas kleiner und breiter, mit aschfarbenem Haar. Die andere ist groß, schlank und hat kurze braune Locken – ah, und Brandnarben am Hals.»
«Sie ist es!», jubelte Carolus. «Halleluja! Sie lebt!»
«Ja, es muss sich um die handeln, die wir suchen», sagte Calixtus. «Wie gesagt: Sie ist harmlos und steht unter dem Schutz des Erzbischofs. Sie ist Gärtnerin.»
«Gärtnerin? Das sieht diesen verlogenen Häretikern ähnlich. Sie tun harmlos und geben sich als alles Mögliche aus, um dann still und heimlich Streit unter den Gläubigen zu säen. Übrigens hat sie auch einen anderen Namen angegeben.» Eberhardus suchte in einem Stapel Pergamente auf seinem Tisch. «Ah, hier habe ich es: Alessa di Rugieri, so hat sie sich genannt.»
«Daran seht ihr, wie ehrlich sie ist», beeilte sich Calixtus zu erklären, «sie hat Euch ihren Geburtsnamen gegeben statt nur den angenommenen, den sie im Beginenhaus getragen hat.»
Eberhardus war davon nicht beeindruckt. «Mag sein. Dennoch hat sie zugegeben, ein ketzerisches Werk kopiert und verbreitet zu haben. Macht Euch also nicht die Mühe, sie zu verteidigen. Das Werk liegt uns vor. Die Handschrift wurde überprüft. Sie stimmt mit der ihren überein. Der Fall ist also abgeschlossen.»
«Aber ich kann es beschwören, Exzellenz! Sie war wirklich Gärtnerin – in einem Heilgarten. Und sie hat sich still und ordentlich betragen, solange sie in Pertuis gelebt hat», rief Calixtus.
«Still und ordentlich hat sie diese Ketzerbibel kopiert, das steht fest», entgegnete Eberhardus trocken.
Calixtus seufzte. «Ich weiß, dass im Beginenhaus von Pertuis eine Kopie des ‹Spiegels› existierte. Die Ideen darin waren ja durchaus verführerisch und denen des heiligen Bernhard im Kern nicht unähnlich. Deshalb wohl haben sich zwei oder drei der Frauen dort – diejenigen, die lesen können – damit befasst. Es hat sie gefreut, dass eine von ihnen sich mit einer solchen Schrift hervorgetan hat, dass die Beginen etwas Eigenes haben sollten. Verwerflicher Stolz, gewiss, aber doch verständlich. Als sie hörten, dass es verboten wurde, da haben sie das Buch verbrannt. Sie haben gefehlt, doch sie haben ihr Fehlverhalten eingesehen. Sollte man ihnen nicht die Gelegenheit zur Besserung geben? Und Danielle hat selbst keine andere Sünde begangen, als sich nicht von einem Buch trennen zu können. Sie hat es doch nicht selbst verfasst, sondern sich nur davon verführen lassen. Wenn Ihr sie hinrichten lasst, dann ist die Gelegenheit zur Umkehr verstrichen und die Seele für immer verloren», sagte Calixtus.
«Habe ich nicht gesagt, Ihr sollt sie nicht zu verteidigen suchen? Ihr seid ein guter Advokat, Mönch, doch dafür ist es jetzt zu spät», sagte Eberhardus. «Die Begine Barbara wird morgen auf der Place Sainte-Marie verbrannt.»
Carolus zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
«Und Danielle? Sie wollte gewiss nichts Böses tun. Bitte, habt Gnade! Tötet sie nicht! Ich will sie heiraten!»
«Ihr seht», sagte Calixtus, «diese Danielle – oder Alessa –ist nur ein einfaches, fehlgeleitetes Weib, nicht einmal eine richtige Begine. Dieser gute Christ ist gewillt, sie zur Frau zu nehmen, und wird für ihr Wohlverhalten bürgen.»
Carolus nickte eifrig und dachte bei sich: ‹Nur gut, dass sie das nicht hört. Sie ist gewohnt, allein ihr Leben zu meistern. Sie würde es übelnehmen, wenn man ihr zumutete, von meiner Bürgschaft und meiner Aufsicht abhängig zu sein. Wenn sie mich überhaupt will.›
Eberhardus erbrach das Siegel des Erzbischofs und las das Schreiben.
«Unter seinem Schutz? Und Ihr seid zu ihrem Beichtvater und Aufseher bestellt, Bruder … äh … Calixtus?», fragte er erstaunt.
«Das ist richtig.»
«Bitte, gebt uns Danielle heraus. Sie ist eine gute Frau, und ich liebe sie von ganzem Herzen!», flehte Carolus.
Mit ehrlichem Bedauern gab Eberhardus dem Mönch den Brief zurück. «Ja, dass sie keine gänzlich verhärtete Sünderin ist, das habe ich ebenfalls erkannt. Neugierig, ja, wie alle Weiber. Verwirrt, aber nicht böswillig. Wir sind
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