Die Ketzerbibel
verstehen sie nichts davon, weil sie’s selber nicht tun – und wenn’s schlechte Pfaffen sind, dann kommen sie eher in die Hölle als ich, denn im Gegensatz zu ihnen habe ich nie geschworen, es bleiben zu lassen!»
Danielle musste lachen über diese Logik: «Du hast wahrscheinlich recht. Und die anderen aus unserem Konvent? Wie sind die dazu gekommen?»
«Also, die Anne, die Kopistin, das weiß ich: Die hat lernen wollen und Bücher lesen, das hat sie einfach mehr interessiert als Männer. Gebba ist Witwe geworden, und um an das Vermögen ihres Mannes ranzukommen, wollten ihre Kinder sie schnell wieder unter die Haube bringen. Da ist sie in den Konvent gegangen und hat ihr Vermögen mitgenommen. Da ist auch eine, die ist von ihrem Onkel missbraucht worden. Sie hat sich hierher geflüchtet, damit es nicht wieder passiert. Ich werde dir nicht sagen, wer es ist, das wäre ihr nicht recht. Sie wird es dir vielleicht einmal selber erzählen.»
«Oh», sagte Danielle. «Das arme Mädchen. Es ist schrecklich,wenn jemand, dem du vertraust und der dir Schutz bieten sollte, dich so misshandelt.» Sie pflückte eine Weile schweigend weiter, und Magdalène hatte das Gefühl, ihrer Freundin sei möglicherweise etwas Ähnliches passiert. Aber sie wagte nicht zu fragen. Da war eine Tür ins Schloss gefallen, das spürte sie. Also versuchte sie, wieder einen heiteren Ton anzuschlagen: «Wir haben auch eine ganz Gebenedeite unter uns!»
Danielle lachte: «Du meinst Justine?» Das war eine magere Blonde, die so fein und empfindsam tat, als schwebe sie ständig eine Handbreit über der Erde.
«Sie hat wohl wirklich eine Vision gehabt. Ihr ist die heilige Martha erschienen und hat ihr befohlen, ein keusches Leben zu führen und den Armen zu dienen. Aber wenn du mich fragst, für die meisten von uns ist das ein guter Weg, der Ehe zu entgehen, in der man jedes Jahr schwanger ist und mit dreißig Jahren alt und verbraucht, und der Kerl prügelt einen täglich durch»,
«Aber so ist es doch nicht immer.»
«Oft genug. Auf jeden Fall hast du selbst nichts zu melden. Du gehörst dem Vater oder dem Ehemann wie ein Stück Vieh. Dann schon lieber keusch und fromm.»
Obwohl Magdalène stets in rauem Ton über «Das-in-die-Kirche-Rennen» sprach, so hatte Danielle wohl beobachtet, dass ihre Freundin mit der Inbrunst und dem Vertrauen eines Kindes betete.
Hand in Hand schlenderten sie zurück. Danielle schaute die andere verstohlen von der Seite an. Magdalènes Profil war dunkel gegen den gleißenden Sommerhimmel: die aufgeworfenen Lippen, die kurze Stupsnase, das gerundete Kinn, Haarsträhnen, die aus dem Wimpeltuch entwischt waren und sich am Hals entlangkräuselten, die großen weichen Brüste, die sich unter dem Gewand abzeichneten. ‹Sie istwie ein Füllhorn. Sie gibt und gibt, und es ist nie ein Ende›, dachte Danielle. ‹Warum kann ich nicht so sein wie sie? Im Vergleich mit ihr bin ich wie eine kleine, bittere Frucht: eine Menge Kerne und wenig Fleisch. Ich bin misstrauisch und geizig mit meinen Gefühlen. Wann bin ich so geworden?›
Berge schmutziger Wäsche und Wolle türmten sich immer noch entmutigend hoch am Flussufer, doch als der Nachmittag kühler und das Licht matter geworden war, hatten sie schließlich alles geschafft.
Die Maultiere wurden beladen, das Wägelchen angeschirrt, und der Zug bewegte sich wieder heimwärts. Dort, wo der Feldweg in die Straße mündete, blieb Manon plötzlich stehen. «Halt, Kinder. Da kommt ein Haufen Kerle. Lasst uns lieber warten, bis sie vorüber sind.» Sie wollten sich in den Schutz einer Baumgruppe zurückziehen, aber es war zu spät. Sie waren schon entdeckt worden.
Es war eine Gruppe von Flussschiffern auf dem Weg zur Stadt. Ganz offenbar stand ihnen der Sinn nach Vergnügungen. «Nun schaut doch mal, was uns der gütige Himmel da schickt!», rief der Anführer.
«Ein ganzer Haufen Weiber, für jeden zwei!», johlte ein anderer.
«Das sind doch keine richtigen Weiber, das sind bloß Kirchenkrähen», schimpfte ein Dritter.
«Ach, sind die Kleider erstmal runter, dann sind es ganz normale Weiber, genau wie andere auch.»
«Lasst uns nachschauen!»
Die Beginen drängten sich ängstlich aneinander.
«Ihr guten Männer, lasst uns in Frieden. Wir sind fromme Frauen und tun keiner Seele etwas!», rief Justine. «Geht weiter und sucht euer sündiges Vergnügen anderswo!»
Doch die Kerle ließen sich nicht abweisen. Angetrunken, wie sie waren, kamen sie direkt auf sie
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