Die Ketzerbibel
gewesen sein. Das hat sie erinnert an … an das, was ihr passiert ist, oder?»
«Gewiss. Und sie hat sich tatsächlich geprügelt?» Die Meisterin schaute streng, doch sie konnte ein gewisses heiteres Zucken um die Mundwinkel nicht unterdrücken.
«O ja, und wie! Die Kerle sind gelaufen wie die Hasen!»
«Hmm. Ist sie also doch nicht so sanft und so gleichmütig, wie sie immer tut – und sicher selbst auch glauben möchte. Nein, lammfromm ist sie nicht.»
«Glaubst du, sie verstellt sich?», fragte Renata.
«Verstellen – nein. Falsch ist sie nicht. Das hätten wir schon bemerkt. Ich denke, sie weiß selbst nicht, was in ihr steckt. Aber eines Tages wird es sich seine Bahn brechen. Alles kommt einmal zutage, du wirst sehen.»
«Was für ein Schlag!», erzählte Manon im Speisesaal bewundernd und demonstrierte auch gleich noch mit der Suppenkelle, wie Danielle sie verteidigt hatte.
«Wie bitte? Sie hat sich geprügelt? Na, ich hab’s euch ja gleich gesagt!» Gebba rümpfte die Nase: «Wie ordinär! Und was wirft das für ein Licht auf uns alle?»
«Ein gutes, nämlich dass wir unsere Tugend zu verteidigen wissen.»
«Hättet ihr euch lieber gleich von den Männern ferngehalten!»
«Na, hör mal! Die haben
uns
belästigt und nicht wir sie!»
«Sie werden schon provoziert worden sein», sagte Gebba mit einem bedeutungsvollen Blick, da Magdalène gerade den Speisesaal betrat. Die hatte die Bemerkung gehört und ließ sich nichts schenken: «Das nächste Mal gehst du besser mit, Schwester. Dann machen sie einen Bogen um uns.»
Manon kicherte und hielt sich rasch eine Hand vor das Gesicht. Gebba zog die Lippen zusammen, sodass ihr Mund aussah wie ein zusammengenähter Socken.
Doch zur guten Nacht bot sie Danielle die Hand und einen schwesterlichen Kuss – unter den wachsamen Augen der Meisterin. Es stand in den Hausregeln, dass keine Begine zu Bett gehen sollte, ohne sich vorher mit all jenen zu versöhnen, mit denen sie sich während des Tages gestritten hatte.
«Ich heiße nicht gut, was du getan hast. Auch wenn euch die Männer mit ihrem Verhalten gereizt haben, so steht es doch einer Frau nicht an, gewalttätig zu werden. Und hat nicht unser lieber Herr Jesus die andere Wange hingehalten?»
«Mit einer Wange wären die kaum zufrieden gewesen, da hättest du schon was anderes hinhalten müssen», murrte Magdalène.
«Ich wollte das nicht, es tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist», sagte Danielle beschämt. «Ich hoffe, ich habe der Gemeinschaft nicht geschadet mit meinem Verhalten.»
«Und ich hätte dich nicht so hart tadeln sollen», gab Gebba zurück. «Ich habe es nur gut gemeint, verzeih. Wirwollen einander liebhaben wie Schwestern.» Sie umarmte Danielle.
«Oh, mach dir nur keine Sorgen, dass die Kerle etwa davon in der Stadt erzählen», kicherte Magdalène. «Die werden sich hüten. Da stünden sie ja schön da vor ihren Saufkumpanen!» Und so war es auch.
4.
«Und was soll das darstellen?»
«Es ist gar nicht schlecht angelegt. Schau, wie sorgfältig sie die Kettfäden unten mit Tonscheiben beschwert hat, nicht zu viele zusammengebunden, damit das Gewebe keine Lücken bekommt … recht ordentlich. Das hätte ich nicht besser machen können», sagte Manon und befühlte mit Daumen und Zeigefinger sachkundig die Handbreit Stoff, die am oberen Rand des Hochwebstuhls bereits entstanden war. «Und seht nur, wie geschickt sie die Schussfäden angelegt hat, sodass die Knoten immer hinten landen. Sehr gut. Sehr gut!»
«Aber was soll das werden», nörgelte Gebba.
Die Weberinnen und Kämmerinnen und die Garnspinnerin standen alle um Danielles Webrahmen herum, der in der hintersten Ecke gegen eine Wand lehnte.
«Ich weiß noch nicht so genau.» Unbemerkt hatte Danielle den Raum betreten. Ein wenig schuldbewusst fuhren die anderen Frauen auseinander.
«Ich weiß nicht, ich weiß nicht!» Giftig ahmte Gebba Danielles unentschlossenen Tonfall nach. «Wie ich es leid bin, das ständig von dir zu hören, Schwester! Man muss doch wissen, wohin man will, wenn man ein Werk beginnt.»
«Ich denke, ich werde eine Frau in einem Blumengarten machen», antwortete Danielle ruhig. «Ich muss mich ja auch danach richten, welche Farben ihr mir im Restekorb lasst.»
Gebba hatte den anderen den Rücken zugewandt und war zurück zu ihrem Webstuhl gegangen, wo man sie ärgerlich mit den Schäften klappern hörte.
«Tatati und tatata! Alles Unsinn!» – «Rrrapp», schnarrte ihr
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