Die Ketzerbibel
dort hinten Walderdbeeren gesehen. Hilf mir, sie einzusammeln!»
Danielle blinzelte schläfrig ins Blätterdach, wo die Weidenzweige schwankten und hier und da blendend weiße Sonnensterne durch die Blätter blitzen ließen.
Aber Magdalène ließ sich nicht abweisen. Sie stieß sie sanft mit der Fußspitze an:
«Los, Faulenzerin! Auf!»
Seufzend folgte ihr Danielle. Die anderen Frauen hatten es sich unter Bäumen und auf zusammengerollten Stoffballen bequem gemacht. Vorsichtig suchten sie sich ihren Weg über die Wiese durch die Wäschestücke hindurch in einen lichten Wald aus wilden Pflaumenbäumen und Erlen.
«Hier» Magdalène hatte die Stelle wiedergefunden. Sie warf ihren Strohhut auf die Erde. «Wir tun sie da hinein! Sieh nur, wie viele es sind! Es ist alles voll davon!» Die breiten, dunkelgrün gezackten Blätter der wilden Erdbeeren hoben sich von den helleren Lanzen der Gräser ab. Unter ihnen schimmerten weiße Blüten und die winzigen roten Beeren. Sie hockten sich ins Gras, pflückten und naschten dabei, bis sich ihre Lippen und Fingerspitzen röteten.
«Wie bist du eigentlich zu den Beginen gekommen?», fragte Danielle.
«Calixtus hat mich gefunden und gerettet», lachte Magdalène. «Ich stand vor einer Wirtschaft und wartete auf Kundschaft. Ich wäre vielleicht nicht mit ihm gegangen, wenn mir der vorige Freier nicht ein blaues Auge verpasst hätte, aber so … es war einer dieser Momente, wo mein Beruf mir so gar keine Freude gemacht hat, verstehst du? Und da kam dieser gute Bruder und hat auf mich eingepredigt vom Leben in Sünde und Eitelkeit und vom verlorenen Sohn, dass Gott einen aufnimmt, wenn man wirklich bereut, und dass er einem ein neues Gewand schenkt und all das. Na! Es war ein regnerischer, kalter Tag, und mein Gesicht tat mir weh, und die Kerle waren mies. Da kam mir ein frommes Leben schonsehr verlockend vor!» Danielle schaute entsetzt. Magdalène steckte sich eine überreife Beere in den Mund, zerdrückte sie mit der Zunge am Gaumen und leckte sich genüsslich die Finger ab.
«Nun schau nicht so, du Lämmchen! Hast du gedacht, wir hätten alle eine persönliche Einladung von einem Engel bekommen? Oh, gewiss, einige von uns behaupten, sie hätten eine Vision gehabt – von mir aus! Mir hat sich einfach ein Weg eröffnet, an den ich vorher nicht gedacht hatte.»
«Aber wie bist du denn … hm … also …».
«Warum ich Hure geworden bin?», sagte Magdalène. «Mir ist nie etwas anderes eingefallen. Meine Mutter war eine, und ich sollte, sobald ich so weit war, auch eine werden.» Sie lachte unbekümmert. «Sie hat mir alles beigebracht, was man als Hure wissen muss. Wie man Männern Freude bereitet. Meine Jungfernschaft hat sie meistbietend versteigert. Es war gar nicht so übel das erste Mal.»
«Aber wie kannst du denn … so einfach mit jedem Mann …», Danielle schüttelte es bei dem Gedanken.
«Ich habe ja nur die genommen, die mir nicht zuwider waren. Mir hat es nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Ich habe es als meine Kunst und Pflicht verstanden, die Männer so recht zufriedenzustellen. Die Liebe ist keine so leichte Sache, wie man es immer darstellt, vor allem für die Männer nicht. Immer sollen sie stark und immer potent sein. Was glaubst denn du? Mancher kam ängstlich und unsicher zu mir geschlichen, und ich hatte meine liebe Mühe mit ihm! Und wenn sie dann stolz und erleichtert wieder gegangen sind, dann war ich zufrieden mit mir. Manche Hure gibt einfach ihren Körper hin, liegt da und tut gar nichts. Und wird noch unwirsch, wenn die Kerle nicht zum Ende kommen. Das ist nichts wert. Es ist nachgerade Betrug! Liebe zu geben, sodass sie davon mehr haben als einen Augenblick der Lust,sodass sie sich nachher besser vorkommen, schöner, stärker, mutiger, verwegener – das ist eine Kunst»
Danielle schaute ungläubig.
«Aber ja! Wenn’s dir selbst nicht gefällt, dann kannst du den Beruf nicht ausüben. Na – aber es gibt auch gemeine Freier und schlechte Tage …»
«Und wenn du schwanger geworden wärst?»
«Dagegen gibt’s Kräuter, Hysop und Anis und Petersilienwurzel …»
«Das ist doch alles Unsinn», sagte Danielle. «Schwangerschaften kannst du mit keinem Kraut der Welt verhindern.»
«Und wenn schon. Aber ich hab Glück gehabt.»
«Hast du keine Angst gehabt, in die Hölle zu kommen?»
«Warum? Weil ich Freude gegeben habe? Nein. Ich glaube, das ist Pfaffengeschwätz. Wenn’s gute Pfaffen sind, so wie Calixtus, dann
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