Die Ketzerbibel
schon wieder hungrig», bemerkte Manon mit einem listigen Blick zu ihr.
«Ich weiß schon», sagte die. «Wenn etwa zufällig ein Pastetchen herunterfallen sollte und zerbricht, dann bringe ich es dir.»
Im Hof vor dem Kücheneingang lag eine Pyramide aus hellgrünen Kugeln, die einen wunderbaren, zartsüßen Duft verbreiteten. Anniks Sohn war mit dem Fuhrwerk gekommen und hatte ein Ladung Melonen gebracht, frisch vom Feld.
Annik schoss wie ein aufgescheuchtes Insekt in ihrer Küche herum und versuchte gleichzeitig in einem Suppenkessel zu rühren, der über dem Kaminfeuer stand, den Brotteigzu Zöpfen zu flechten und Fliegen von der Speckseite zu vertreiben, die zum Aufschneiden auf dem Tisch lag.
«Oh! Endlich kommt mir jemand helfen! Ich kann mich doch nicht zerreißen! Da, schneide mir ein paar Scheiben Speck herunter, das wirst du ja wohl können! Mestra Laura kommt heute zum Abendessen, da muss es etwas Gutes geben! Nein, rühr mir den Teig bloß nicht an, sonst fällt er wieder zusammen. Du hast kein Geschick dafür! Manche Leute brauchen einen Brotteig nur anzuschauen, und er wird sauer oder fällt zusammen. Der Speck! Der Speck!»
Danielle machte sich ans Werk. Das Messer war stumpf, und sie sah sich in der Küche nach einem Schleifstein um. Es war ein großer, gewölbeartiger Raum mit einer Fassdecke aus Ziegeln und einem gewaltigen Kamin, dessen Schlot den anschließenden Speisesaal und die gemeinschaftlichen Schlafräume im ersten Stock beheizte. Doch so groß die Küche auch war, so vollgestellt war sie mit Tischen, Vorratsregalen, Wasserkrügen, Kornsäcken, Körben, Töpferwaren, Butterfass, Hackblock und Brothafen. Einige der Gerätschaften waren mit Seilen an den Dachbalken angebracht, von wo aus die winzige Küchenfrau sie sich bei Bedarf herunterlassen konnte. Danielle hatte einen Schleifstein entdeckt und schärfte das Messer. Annik sah ihr über die Schulter: «Ja, gut so. Merkwürdig für eine Frau bist du schon: Du kannst weder kochen noch backen, noch Käse machen, aber handwerkliche Dinge fallen dir ganz leicht. Und bei den Schultern, die du hast, da könntest du glatt ein Schmied sein! Aber du bist ein guter Kerl!» Im Vorüberhasten klopfte sie Danielle auf den Rücken. «Wenn du mit dem Speck fertig bist, dann bring ihn in die Vorratskammer. Häng ihn an einem Haken auf und schlag ihn gut in Leinen ein, hörst du – dass mir die Fliegen nicht drankommen! Und bring gleich einen reifen Käse mit, einen aus Kuhmilch, von den großen gelben. Nein,lass das lieber, ich muss ja doch selber schauen, welcher gut ist – du weißt das ja nicht. Danach könntest du die Melonen aufschneiden und entkernen. Die müssen bald gegessen werden, die gibt’s zum Nachtisch!»
Sie schoss wieder zur Feuerstelle und rührte die Suppe um, dass sie überschwappte und die Tropfen in der Glut zischten. Schon war sie wieder am Tisch, nahm den Speck, den Danielle abgeschnitten hatte, und steckte ihn auf einen Spieß, um ihn über dem Feuer zu rösten. Auf dem Kaminrost legte sie Brotscheiben aus, um das herabtropfende Fett aufzufangen.
Magdalène kam hereingeschlendert und schnappte sich eine in Wein gekochte Feige aus einer Schüssel. Annik schlug ihr auf die Finger: «Hier wird nicht genascht! Du kannst anfangen, die Tische zu decken, du verfressenes Ding!» Aber sie lachte dabei, und kaum hatte sie den Rücken gekehrt, langte Magdalène noch einmal in die Schüssel.
«Ooooh, du …», schrie Annik, die es aus den Augenwinkeln bemerkt hatte. Magdalène ergriff einen Stapel Geschirr und floh aus der Küche. Annik warf ihr einen zusammengeknüllten Lumpen hinterher und zeterte: «Du sollst nicht stehlen!» Magdalène verschwand kichernd.
Danielle trug die Speckseite in die Vorratskammer. Sie lag zwischen Küche und Außenmauer zur schattigen Straße hin und hatte nur ein paar winzige Oberlichter. Im Halbdunkel stieß Danielle gegen einen mannshohen Ölkrug, tastete nach einem freien Haken und hängte gerade das Fleisch daran, als sie aus der Küche einen gellenden Schrei vernahm. Sie ließ das Leintuch fallen und rannte zurück in die Küche.
Annik hatte sich mit kochender Suppe den Arm verbrüht, von der Hand bis zum Ellbogen. Jammernd und weinend griff sie nach der Ölflasche, goss sich Öl auf die krebsroteHaut und wollte schon Mehl darauf stäuben. Danielle riss es ihr weg.
«Was tust du da?! Doch kein Öl und auch noch Mehl dazu! Das macht es nur noch schlimmer. Das verschmutzt die Wunde, und sie
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