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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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gar nicht verlegen. «Ja, ein wenig verzogen war ich sicher, als einziger Sohn und als Nesthäkchen. Mein Vater war Arzt und wollte, dass ich ihm in seinem Handwerk folge. Darum und um mich von den Schürzenzipfeln loszumachen, hat er mich zum Studium in den Norden geschickt. Ich wäre lieber nach Bologna gegangen. Aber es musste Paris sein, weil er dort einen Kollegen hatte, bei dem er mich unterbringen konnte.» Wieder dieses Zusammenzucken, dieses kurze Aufleuchten in ihren Augen. Paris. Da musste etwas gewesen sein. Er würde seinem Studienfreund schreiben.
    «Ich habe mich dort nie recht wohl gefühlt. Mein Vater hoffte, ich könnte als Hausarzt in einem reichen Hause unterkommen, aber ich hätte nicht dort im Norden leben mögen.»
    «Die Sommer dort können sehr angenehm sein. Nicht so unbarmherzig wie hier. Alles bleibt grün und verbrennt nicht so wie bei uns. Die Sonne dort ist heiter, nicht grausam. Die Nächte sind lau. Es gibt so viele Ablenkungen, und die Stadt ist wunderschön, wenn nachts die Öllampen in den Fenstern brennen. Aber die Winter in Paris sind grausam. Die Seine friert vom Rand her zu. Am Ufer und an den Pfeilern der Brücken bilden sich Zähne aus Eis. Der Stein ist so kalt. Überall ist Stein», sagte sie und verstummte dann.
    «Ihr wart also dort, wo habt Ihr gelebt, was habt Ihr dort getan?»
    Danielle zuckte die Achseln. Immer versuchte er sie auszuhorchen. Paris lag so weit hinter ihr. Sie war nicht mehr dieselbe Person, die in Paris gelebt hatte. Es hatte keine Bedeutung mehr.
    »Bitte tut mir einen Gefallen, ja?», versuchte er es erneut.
    «Was soll ich machen?» Wachsam. Immer wachsam und misstrauisch.
    «Nichts, wovor Ihr Euch fürchten müsstet! Schließt die Augen.» Sie tat es und blinzelte dabei.
    «Nein, schließt sie ganz und lasst sie geschlossen. Ich verspreche, ich werde Euch nicht berühren. Wenn Ihr wollt, werde ich Euch nicht einmal anschauen dabei. So ist es gut. Atmet ganz ruhig und tief!» Wenn die Vernunftseele in der Lunge wohnt, so dachte er sich, dann wird sie wohl besser arbeiten, wenn man ihr Luft und Ruhe gibt. «Und jetzt denkt ‹Paris›. Denkt an einen Raum, wie sieht er aus?»
    Ein heller Raum, ein gemalter Fries, kostbare Teppiche, Regale voller Pergamentrollen an den Wänden, ein Schreibpult, ein großer, langer Tisch auf niedrigen Beinen. Instrumente liegen darauf und ein menschlicher Knochen.
Nein, halt! Das ist nicht wahr, ein Trug, es ist vorbei. Ich will das nicht sehen. Sie riss die Augen auf.
    «Was habt Ihr gesehen? Beschreibt mir den Raum!»
    «Hell, groß, zwei Stühle, ein Tisch.»
    Carolus seufzte. Es war zum Verzweifeln. «Wie sieht der Tisch aus? Liegen Gegenstände darauf?»
    «Da liegt nichts.» Zum ersten Mal glaubte er ihr nicht. Er begann von Paris zu erzählen, um ihre Erinnerung in Gang zu bringen, von der Universität, doch da wurde ihr Blick kühl und gelangweilt. ‹Das kennt sie nicht›, dachte er, ‹woher auch.›
    Er brachte ihr Dinge mit, einen Ritterroman, den er voneiner seiner Schwestern entliehen hatte. Es war ein schönes Buch mit vielen Bildern, in hellblaues Leder gebunden und mit goldenen Initialen. Sie kannte es nicht, ebenso wenig wie die Stundenbücher, Heldensagen, den «Roman der Rose» oder irgend sonst etwas, das seine Schwestern mit so viel Begeisterung verschlangen.
    ‹Sie kann, mag aber nicht lesen›, sagte er sich und verspürte einen kleinen Stich der Enttäuschung. Er hatte sich immer eine kluge Frau gewünscht, eine, mit der er sich unterhalten könne. Seine Verlobte konnte lesen, schreiben und rechnen. Darauf hatte seine Mutter den größten Wert gelegt.
    Er brachte ihr ein geflecktes Kätzchen mit und beobachtete entzückt, wie sie sich zu dem Tier in den Staub hockte. Ihr Ernst, ihre Gleichgültigkeit, ihre Härte waren für den Augenblick vergessen. Sie holte ein Ende Wolle aus der Weberei und ließ das Tierchen danach springen. Als es müde war, legte sie es in ihren Schoß und streichelte es selbstvergessen. Doch bei seinem nächsten Besuch hatte sie es nicht mehr bei sich.
    «Wo ist das Katzentier?», fragte er.
    «Ich habe es Annik gegeben. Es kann sich in der Küche und auf dem Speicher nützlich machen.» Das war nur vernünftig, sagte er sich. Aber ganz hinten in der unaufgeräumtesten Ecke seiner Gedanken regte sich etwas und sagte: ‹Warum kann sie nicht wie andere Frauen sein, weich und liebevoll, schnell gerührt von allen kindlichen Wesen? Warum ist sie so hart und

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