Die Ketzerbibel
klammern sich an Äußerlichkeiten, und wenn es keine gab, dann müssen sie welche erfinden. Also ist eine Frau in kritischem Zustand doch genesen durch Gottes Gnade. So etwas kommtalle Tage vor. Man erkrankt und überlebt es oder stirbt – da ist nichts Außergewöhnliches!›, dachte der Abbé. Laut sagte er:
«Da seht ihr es: Engel tun Wunder durch eine Berührung, ein Wort! Sie haben es nicht nötig, durch irgendwelche Pülverchen zu wirken.» Auf keinen Fall würde er seiner Heiligkeit mit einem Wunder im Beginenkloster kommen. Wahrscheinlich hatte die Infirmaria die Heilung selbst herbeigeführt und wollte jetzt Kapital daraus schlagen. Oder – und das war am wahrscheinlichsten – war die Kranke so siech gar nicht gewesen.
Doch die Beginen ließen es sich nicht nehmen, eine armdicke Kerze aus Bienenwachs und ein Ex Voto zu stiften, einen aus Silberblech geschnittenen kleinen Arm. Sie bestanden darauf, ihn vor der Mutter Gottes in der Kapelle Saint Pierre aufzuhängen. Ganz Pertuis sprach davon. Der Abbé fühlte sich genötigt, dem Gerücht von einem Wunder offiziell zu widersprechen. Demnächst würde es noch Pilgerfahrten zum Konvent Sainte Douceline geben. Nicht auszudenken!
Magdalène genas rasch. Innerhalb weniger Tage konnte sie aufstehen und auf dem Hof herumgehen. Die anderen sahen, wie sie mit Danielle auf der Bank im Garten saß. Die beiden steckten die Köpfe zusammen.
«Unsere Magdalène ist doch eine gute Seele!», sagten sie. «Sie nimmt es Danielle überhaupt nicht krumm, dass sie sich so wenig um sie gekümmert hat. Ja, so ist sie eben.» Aber schließlich vergaben auch sie ihrer Schwester, und es kehrte wieder Frieden ein in Sainte Douceline.
Es war ein paar Tage später, dass Jeanne die Meisterin beiseitenahm: «Ich muss leider einen Diebstahl melden. Jetzt ist mir auch klar, warum wir neulich so lange geschlafen haben, und vor allem, warum selbst diejenigen geschlafen haben, die doch Nachtwache halten sollten.»
«Schlafmohnsaft», sagte Juliana.
«Ja! Woher weißt du das?»
«Es kann ja gar nicht anders gewesen sein.»
«Mein ganzer Vorrat ist fort! Ich habe es eben erst entdeckt! Gut, dass der Mohn blüht. So kann ich gleich für Nachschub sorgen. Aber ich möchte doch wissen, wer das war!»
«Der Dieb dürfte identisch sein mit dem Engel, der Magdalène gerettet hat. Also war es wirklich kein Wunder, jedenfalls keines der üblichen Art», lächelte Juliana.
Durch das offene Fenster drang das Geräusch einer Hacke. Sie schauten hinaus und erblickten Danielle, die energisch dem Unkraut in den Beeten zu Leibe rückte.
«Du glaubst doch nicht …?» Jeanne ließ den Satz unvollendet. «Unmöglich!»
«Unmöglich?», fragte Juliana leise zurück.
Jeanne kniff die Augen zusammen und zupfte sich nachdenklich an der Unterlippe.
«Aber sie hat doch geschlafen, wie wir alle», wandte sie dann ein.
«Woher willst du das wissen, wenn du doch geschlafen hast?»
«Ausgerechnet sie? Die keinen Kranken anrühren kann?»
«Nicht kann oder nicht will? Hat sie nicht gezeigt, dass sie eine ungewöhnlich große Kenntnis von Heilkräutern hat? Du erinnerst dich doch, wie rasch sie das Richtige getan hat, als Annik sich verbrüht hatte! Also ich denke, dass sie Kranke absichtlich meidet. Und wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben will, dann ergibt sich die Frage: Warum will sie nicht, wenn sie es doch kann?»
«Aber dann belügt sie uns, was ihre verlorene Erinnerung betrifft.»
«Nicht unbedingt. Du weißt ja: Die Hand erinnert sich … Aber ich vermute schon, dass wir ihrem Geheimnis auf der Spur sind», sagte Juliana nachdenklich.
«Du meinst, sie war doch Apothekerin oder Krankenpflegerin?»
«So etwas in der Art. Ja, ich bin mir fast gewiss.»
«Ob sie jemanden umgebracht hat?»
«Warum gleich das Schlimmste denken? In dem Fall wäre ihre Strafe sicher weitaus härter und endgültiger ausgefallen, denkst du nicht, Jeanne? Es wäre ja auch möglich, dass sie nur einen Fehler begangen hat.»
«Ach, ich möchte es doch zu gerne wissen! Wenn man es nur irgendwie herausfinden könnte …», sagte Jeanne.
Im Garten richtete sich Danielle auf und schaute in ihre Richtung. Juliana zog Jeanne vom Fenster weg. «Lass uns vorerst nicht über unsere Vermutung sprechen. Wenn wir recht haben und sie damit konfrontieren, fürchte ich, dass sie davonläuft. Lass uns schön stille sein und sehen, wie sich die Sache weiterentwickelt.»
13.
Carolus war zurück im Besucherzimmer des
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