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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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Franziskanerklosters.
    «Und? Habt Ihr Fortschritte gemacht?», wollte Basilio wissen.
    «Nun ja, es geht voran, vielleicht nicht so rasch und gründlich, wie ich es mir wünsche, aber wir führen tiefe Gespräche. Sie öffnet sich langsam. Ja, man könnte sagen, dass kleine Fortschritte am Horizont   …»
    Calixtus lächelte. Er hatte ja einen Teil dieser Gespräche belauscht. ‹Er ist jung und sich seines Könnens nicht sicher›, dachte er. ‹Er scheut sich, seinen Misserfolg zuzugeben. Für die Patientin tut er damit nichts.› Laut sagte er:
    «Ich hatte eher den Eindruck, dass Ihr mehr geredet habt als die Patientin und dass überhaupt viel geschwiegen wurde.»
    Carolus’ Wangen überzogen sich mit einer leichten Röte. Er nahm den Zinnbecher, der vor ihm auf dem Tisch stand, und nippte am Wein, ohne ihn zu schmecken. Der Bruder Infirmarius und der Bruder Bibliothekarius schauten ihn erwartungsvoll an.
    Schließlich setzte Carolus den Becher ab und breitete die Hände aus.
    ‹Er kapituliert›, sagte sich Calixtus. ‹Das ist auch nicht gut.›
    «Also, wenn ich ganz ehrlich bin: Wir kommen gar nicht voran. Ich habe es mit Assoziationsketten versucht; ich habe es mit Gegenständen versucht, mit sinnlichen Reizen, umihrem Erinnerungsvermögen einen Fokus zu geben – leider scheint nichts davon anzuschlagen. – Doch, manchmal, ein wenig: Sie hat sich an Nüsse erinnert, die ihr früher einmal jemand gegeben hat. Sie sagt, sie weiß, dass sie in Neapel geboren wurde. Sie kennt den Namen eines Gebäcks aus der Gegend. Doch sie scheint die Erinnerung nicht in ein Zeitgefüge einordnen zu können. Und so ging es von da aus nicht weiter, wie wir es uns gedacht hatten.»
    «Dann ist es wohl so, dass die Eindrücke ihrer Wahrnehmung derart durcheinandergewirbelt wurden, dass sie untereinander die Verbindung verloren haben.» Basilio rieb sich das stoppelige Kinn. Er brummte eine Weile vor sich hin. «Athanasius, sieh doch noch einmal genau nach, was Aristoteles über das Verhältnis von Gedächtnis und Erinnern sagt. Was war da mit den Vorstellungsbildern?»
    Athanasius blätterte in einem der mitgebrachten Codices und fand die Stelle: «Er vergleicht hier die Sinneseindrücke mit einem Abdruck, einem Siegel, das die Wirklichkeit auf der Seele hinterlässt. Leute, die sich in Erregung befänden, könnten nicht auf diese Siegel zurückgreifen, weil ihr Gedächtnis einem fließenden Wasser gleiche.»
    «Da! Vielleicht ist sie innerlich zu unruhig», sagte Basilio.
    «Aber sie hat doch schon alles, was Hippokrates empfiehlt: Ruhe, Kontemplation, Arbeit, eine einfache, reizarme Diät   … und was könnte ruhiger sein als ein Gespräch im Garten», gab Athanasius zu bedenken. «Dann ist möglicherweise Ruhe die ganz falsche Behandlung. Vielleicht braucht es das Gegenteil! Vielleicht muss man sie noch einmal heftig durchschütteln, damit alles wieder an seinen Platz fällt? Wenn Sanftmut und Geduld nicht fruchten, muss man doch zu gewaltsameren Methoden greifen. Celsus beschreibt den heilsamen Schmerz, den heilsamen Schrecken.»
    Er zwirbelte seinen Bart. «Das könnte interessant werden!»
    «Nein, auf keinen Fall werde ich dieser armen, zarten, geschundenen Seele noch mehr Leiden aufbürden, als sie ohnehin schon ertragen hat», wehrte Carolus heftig ab.
    «Freund, ist es möglich, dass du deine Unvoreingenommenheit verloren hast?», lächelte Calixtus.
    «Wie? Habt Ihr Gefühle für diese Patientin?», fragte nun Basilio streng. «Das wäre der Sache aber sehr abträglich! In dem Fall sollte vielleicht ein anderer Arzt sie behandeln!»
    «Nein, nein! Ich habe keine Gefühle für sie, nichts, was über das angemessene Maß an Mitleid und Sympathie hinausginge», behauptete Carolus und glaubte sogar daran. «Es ist nur   … Ich weiß, es gibt zwei Methoden, mit Krankheit umzugehen, wenn man die Ursache kennt: Mehr vom Gleichen oder das Gegenteil. Wir nehmen an, dass ihr Leiden durch Schrecken und Entbehrungen ausgelöst worden ist.»
    «Dann lass sie erbrechen und fasten; jage ihr Schrecken ein, drohe ihr, zeige ihr Folterinstrumente! Lasse sie auspeitschen, reiße sie nachts unsanft aus dem Schlaf, tauche sie in Wasser, lege sie auf die Streckbank.» Athanasius hielt eine Abhandlung hoch. «Hier!» Er nahm ein anderes Pergament vom Tisch und wedelte damit dem jungen Medicus vor der Nase herum: «Und hier! Alle großen Ärzte empfehlen gerade bei Störungen des Geistes gewaltsame Maßnahmen. Celsus empfiehlt

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