Die Ketzerbibel
verführerisch!»
Carolus blieb hartnäckig: «Ein Flötenspieler?»
«Vielleicht. Flötenspiel ist alles andere als erotisch, insofern wenigstens anständig. Und Ihr meint wirklich, weltliche Musik könnte unserer Schwester helfen?»
«Ich bin mir sicher – beinahe sicher. Es wäre einen Versuch wert. Sanfte Musik könnte ihre Ängste beruhigen und ihr Gedächtnis wieder in Harmonie mit Zeitablauf und Wirklichkeit versetzen. Nicht ich habe mir das ausgedacht. Ich habe mich mit dem Infirmarius und dem Bibliothekarius der Franziskanermönche beraten, und sie haben gesagt, dass große Ärzte der Antike diese Methode empfohlen hätten.»
Juliana gab nach: «Also gut, wenn die Mönche es für schicklich befunden haben. Aber es muss anständige Musik sein!»
«Ja, Meisterin Juliana.»
«Ruhige, schlichte Musik!»
«Ich verspreche es: nur Melodien, die ihre Seele beruhigen und erquicken. Der Körper soll davon unberührt bleiben.»
Juliana drohte dem jungen Mann mit einem dürren Zeigefinger:«Wehe, wenn du ihre Tugend gefährdest, Medicus. Dann spiele ich auf deinen Gedärmen Fidel!»
Und so machte sich Carolus auf die Suche nach einem geeigneten Musikanten. In seinem Freundeskreis waren verschiedene, die ein wenig Laute spielten oder auf dem
galoubet
zu pfeifen vermochten, doch erquickend war das nicht, jedenfalls nicht für den Zuhörer.
«Mutter, du warst doch neulich bei einem Gastmahl des Innungsmeisters und warst so begeistert von der Musik, die dort aufgeführt wurde. Weißt du noch, wer die Musikanten waren?»
«Das weiß ich doch nicht. Musiker sind Bedienstete, sie spielen im Hintergrund, während man sich unterhält und isst. Aber ich frage Madame Tullo, sie kann dir sicher jemanden vermitteln.»
Doch Madame Tullo kannte nur Lautenspieler und Sänger ziemlich gewöhnlicher Liebeslieder, wie Carolus feststellen musste. Um wahre Künstler zu beschäftigen, war der Innungsmeister zu geizig.
Mehrere Abende lang besuchte der junge Arzt die Wirtshäuser der Stadt, doch die Musikanten, die dort auftraten, waren entweder so schlecht, dass man sehr betrunken sein musste, um ihr Kratzen und Brummen zu ertragen, oder sie spielten laut und viel zu wild, und eine dritte Sorte gab es noch, die sang Texte, bei denen Carolus rote Ohren bekam, obwohl er sich doch als Arzt für gebildet in körperlichen Dingen hielt.
Die Chorsänger der Kirchen wurden von den Mönchsklöstern gestellt, das ging natürlich gar nicht, das hätte ein Gerede in der Stadt gegeben, selbst angenommen, dass man die Mönche für so ein Unternehmen überhaupt hätte gewinnen können.
Carolus war schon kurz davor, die Idee fallenzulassen, dalud ihn Didier de Bonney eines Abends ins Schloss. Er hatte einen bekannten Troubadour bei sich zu Gast. Die beiden Herren hatten gespeist und es sich im Kaminzimmer bequem gemacht, als Carolus von einem Diener hineingeführt wurde.
Das Erste, was er von dem Sänger sah, waren ein Paar lange schlanke Beine in bunten Strümpfen und eine feingliedrige, beringte Hand, die auf einer Sessellehne lag.
Bonnefoy stand auf und begrüßte Carolus herzlich: «Mein lieber junger Doktor! Darf ich dir Apollon de Sète vorstellen? Ich habe ihm von deinem Vorhaben erzählt – in aller Diskretion natürlich. Wir wollen ja die guten Bürger von Pertuis nicht beunruhigen, nicht wahr. Sie sind so gern beunruhigt!» Er lachte verschmitzt.
Der Troubadour erhob sich, und Carolus begriff auf den ersten Blick, warum die Damen der Gesellschaft mit gedämpften Stimmen sprachen und so einen Kuhblick aufsetzten, wenn von Apollon de Sète die Rede war. Man erzählte sich, es mangele ihm nie an anschmiegsamer Gesellschaft. Ein Mann in den besten Jahren, an die dreißig Jahre alt, war er von hoher, schöner Gestalt, einen Kopf größer als der Medicus. Er besaß schmale Hüften, ein muskulöses Gesäß und hatte die Bewegungen eines Katers. Seine Schultern waren breit, und kastanienfarbene Locken fielen wie ein Sturzbach darüber. Sein Gesicht hätte einer dieser griechischen Götterstatuen gehören können, die man bei Rom allenthalben wieder ausgrub.
«Nein!», beschloss Carolus augenblicklich. «Diesen Mann lasse ich nie und nimmer in Danielles Nähe!»
«Ihr sucht Musik, die geeignet ist, Herz und Sinne einer Dame aufzuschließen?», sagte mit wohltönender, voller Stimme Apollon. «Da seid Ihr bei mir bestens aufgehoben. Ich verstehe mich auf die Weiber.»
‹Das glaube ich gern›, dachte Carolus missmutig.
«Ich
Weitere Kostenlose Bücher