Die Ketzerbibel
beherrsche ein weites Feld von Musikgattungen und Stimmungen. Habt Ihr eher etwas Fröhliches im Sinn oder eine
planh
, ein Klagelied? Ich sage Euch, es gibt keinen schnelleren Weg zum Herzen einer Frau als Mitleid! Oder vielleicht doch lieber etwas Ruhiges, vollkommen Harmonisches? Eine
serena
, ein Abendlied?»
«Die Meisterin des Beginenhauses wünscht keinen Gesang.»
«Schade, aber ich habe auch instrumentale Musik in meinem Repertoire – obwohl natürlich die Stimme das umfassendste und flexibelste Instrument von allen ist.»
«Ach, wenn ich es recht bedenke, verehrter – hm – Apollon, dann kann ich Euch so eine Sache ja doch nicht zumuten – eine dumme Idee von mir! Es ist ein medizinisches Experiment, und ich kann Euch dafür so gut wie gar nicht bezahlen.»
«Das macht nichts. Messire Bonnefoy war sehr großzügig. Ich kann mir so einen kleinen Ausflug schon erlauben.»
«Aber, es sind praktisch Nonnen! Alte Jungfern, trockene Betschwestern. In Säcke gekleidet. Gar nicht die Art von Zuhörern, die Ihr gewohnt seid.»
Apollon ließ ein tiefes, sattes Lachen hören, wie das Läuten großer Bronzeglocken.
«Gerade das reizt mich ja. Ich wollte schon immer einmal wissen, was es mit diesen Frauen auf sich hat, die tun wie Nonnen und doch keine Gelübde ablegen. Sie halten sich alles offen. Interessant, nicht wahr?»
Fieberhaft überlegte Carolus, wie er diesen singenden Halbgott davon abbringen konnte, vor seiner Danielle aufzuspielen.
«Vor nächster Woche geht es nicht. Bis dahin seid Ihr sicherlich schon andernorts engagiert», gab er zu bedenken.
«Ich bin bereit, für dieses außergewöhnliche Experiment alles andere zu verschieben. Das heißt – wenn mein Freund Bonnefoy mich so lange in seinem Hause duldet», sagte Apollon. Bonnefoy machte eine ausholende Gebärde: «Mein Haus ist dein Haus, werter Gast!»
Carolus brach der Schweiß aus.
«Nun denn, in dem Fall, äh – Oh! Da fällt mir ein: Leider ist im Beginenhof eine ansteckende Krankheit des Kehlkopfes ausgebrochen. Ich komme gerade von dort. Es wäre wirklich zu riskant für Euch!»
Bonnefoy zwinkerte Apollon zu, und die beiden Männer brachen in wissendes Gelächter aus.
«Also, ehrlich gesagt, ich hätte mir das vorher überlegen sollen, und ich bitte um Vergebung, aber – hm – jetzt, da ich Euch gesehen habe, halte ich es einfach für keine gute Idee, Euch in den Beginenhof zu bringen. Wenn Euch nun jemand hineingehen sieht! Bonnefoy!» Carolus wandte sich hilfesuchend an den Vogt. «Ihr wisst doch, wie die Leute reden!»
«Glaubt mir, wenn ich eine Dame unerkannt aufsuchen will, dann erwischt mich niemand. Ich bin die Mensch gewordene Diskretion», versicherte Apollon.
Bonnefoys Heiterkeit verstärkte sich.
«Nein, ach, Ihr seid viel zu freundlich! Nein, danke!», stieß Carolus hervor und entfernte sich eilig. Das Gelächter der beiden Männer folgte ihm die prächtige Galerie entlang und die gewundene Treppe hinunter. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stand Carolus einen Moment schwer atmend im Hof. ‹Da habe ich ja einen rechten Esel aus mir gemacht!›, dachte er.
Bedrückt schlenderte er unter der Stadtmauer entlang seinem Haus zu. Der Mond war aufgegangen und die Zikaden sangen. Er beschloss, noch einen Spaziergang zur PorteDurance zu machen und ins Tal zu schauen, um sich zu beruhigen. Der Nachtwächter kam ihm mit seiner Fackel entgegen und grüßte ihn. Auch die Wachen am Tor erkannten ihn gleich und ließen ihn passieren.
«Entfernt Euch nicht zu weit vom Tor!», sagte einer von ihnen. «Es ist wildes Volk da draußen.»
«Zinganes!»
, fügte der andere mit halb verächtlichem, halb ängstlichem Blick hinzu.
Der Medicus machte ein paar Schritte vor das Tor. Weit unten glitzerte die Durance im Mondlicht. Er atmete tief durch, und ein Seufzer entrang sich ihm. «Was soll ich nur tun? Ach, Danielle, du Widerspenstige! Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dich lächeln zu sehen, als deine Geschichte zu hören.» Dankbar sollte sie sein und ihn lieben! So gern wäre er ihr Heiler und Held.
Und da hörte er es: Eine schwermütige, anrührende Musik drang aus den Hügeln herauf, Gesang und ein Instrument, dass er nicht identifizieren konnte. Die Melodie kroch über die Hügel, vom Wind getragen. Mal war sie deutlich zu hören, dann wieder nicht. Carolus lief auf den Klang zu und kam in einen Olivenhain, wo das Fahrende Volk lagerte, jede Familie um ihr eigenes Feuer.
Einige Männer standen auf und
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