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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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kamen drohend auf ihn zu. Er hob beide Hände, mit nach außen gerichteten Handflächen. «Frieden, ihr Leute», sagte er. «Ich bin der Musik gefolgt. Darf ich zuhören?»
    Sie entspannten sich sichtlich und führten ihn zu einer alten Frau, die auf einem mit Saiten bespannten Holzkasten spielte.
    «Cimbal», erklärten sie und wiesen auf den Kasten, «Dulcimer.» Der Sänger war ein bartloser Junge. Carolus war überrascht: Er hätte ihn dem Klang seiner Stimme nach für älter gehalten; sie klang sanft, aber lebenserfahren, so alt wie dieSee. Die Frau bedeutete ihm, sich auf den Boden zu setzen. Jemand drückte ihm einen Becher in die Hand. Er hörte zu, trank und vergaß seine Umgebung. Eine solche Sehnsucht packte ihn, dass er am liebsten aufgesprungen wäre, um alle seine Feinde zu umarmen, um die Traurigkeit der ganzen Welt zu trösten, eine Frau zu lieben.
    «Ja», sagte er nach einer Weile. «Ja. Das ist es.» Er hatte die Lösung gefunden. Diese Musik würde Danielles ängstliche, verschlossene Seele beruhigen und erschließen, den Damm brechen und den Strom ihrer Erinnerungen wieder fließen lassen. Er spürte es ja am eigenen Leibe, wie ihn diese Weisen ins Mark trafen, ihm Tränen in die Augen und ein Lächeln auf die Lippen brachten. Einem solchen Ansturm würde sie nicht widerstehen können.
    Die beiden
Zinganes
erklärten sich nach einigen Verhandlungen bereit, am nächsten Tag in die Stadt zu kommen. Bezaubert von der Musik, trunken von Mondlicht und Wein stolperte Carolus zum Tor zurück und war voller Hoffnung.
    Als er die Alte anderntags an der Porte Durance traf, kamen ihm leise Zweifel. Sie hatte ein hartes, wildes Gesicht, genau wie er sich immer eine Hexe vorgestellt hatte. Doch er begrüßte sie ehrerbietig: «Gott grüße dich, Mütterchen. Komm, ich geleite dich zu dem Haus der Kranken. Ich hoffe, du kannst sie mit deiner Musik heilen.»
    Sie zuckte gleichmütig die Achseln und hielt ihm eine knochige Hand entgegen.
    «Bezahlung im Voraus!», übersetzte der Bengel und grinste frech.
    Carolus kramte in seinen Taschen und legte ihr schließlich das vereinbarte Silberstück in die Hand, eine großzügige Entlohnung, wie er fand. Doch nun streckte auch der Junge seine Hand vor. «Entlohne mich ebenfalls!», verlangte er. Und als Carolus auffahren wollte: «Meine Stimme ist Goldwert. Du hast Glück, dass du sie so billig bekommst.» Der junge Arzt gab nach.
    Er führte sie an der Mauer entlang und durch die schattigsten und entlegensten Gassen zum Konvent Sainte Douceline. Ein Hund lief ein kleines Stück hinter ihnen her. Der Bengel drehte sich nach ihm um und tat so, als bücke er sich nach einem Stein. Der Hund jaulte auf und rannte davon. In der Hahnengasse schaute Carolus sich besorgt um, bevor er an die Pforte klopfte. Die Gasse war leer. Doch von ihm unbemerkt erschien oben, im Haus gegenüber, ein Gesicht am Fenster. Ein anderes spähte durch den Vorhang eines Eingangs. Als Alix öffnete, schob Carolus die beiden Musikanten rasch hinein. Ein letzter Blick über die Schulter. Carolus kam sich verwegen vor.
    «Sing leise, etwas Ruhiges!», forderte er den Jungen noch einmal auf.
    «Weiß schon», war die Antwort.
    Neugierig schaute Alix den
Zinganes
hinterher.
    Danielle saß bereits auf der Bank und erwartete ihn.
    «Was soll ich heute tun?», fragte sie ihn. Sie lächelte. Es rührte sie zu sehen, welchen Aufwand er betrieb. «Und alles das nur, um die armseligen Erinnerungen einer Bettlerin zu hören? Ach, Medicus! Welche Verschwendung!»
    Die Alte setzte sich auf einen Schemel, der vor Julianas Haus für sie bereitgestellt worden war. Danielle sollte die Musik nur hören, jedoch nicht durch den Anblick der Ausführenden abgelenkt werden.
    «Jetzt schließe bitte deine Augen und denke an etwas Angenehmes. Oder noch besser: Lasse deine Gedanken einfach laufen, wie ein paar Ziegen, die gemächlich mit ihrem Schäfer über die Hügel ziehen und hier und da etwas naschen.»
    Eine ruhige, wehmütige Weise erklang hinter ihr, ein Hirtenlied,ein Lied vom Staub der Landstraße, von steinigen Weiden, einsamen Bergen und kühlen Quellen.
    «In den letzten Tagen und Wochen haben wir viel über die richtige Diät für Choleriker und Sanguiniker gelernt, über wohltuende Kräuter und Essenzen und das maßvolle Leben, die gute Verdauung sowie die ausgleichende Wirkung des Aderlasses, wann und auf welche Weise er anzuwenden sei, ob bei abnehmendem oder zunehmendem Mond und in welchem Verhältnis zu

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