Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
vielleicht Peyres finden. Aber sie hatte jetzt so viel Verantwortung, die an ihr allein hing.
» Ich kann die Kranken in diesem Spital nicht im Stich lassen « , erkannte sie nach einer Weile. » Aber wer von euch gehen will, soll es nun tun. Mit den Brüdern rede ich morgen und zeige ihnen den Weg. «
Stimmengewirr erklang, denn Mabile hatte die müden Gemüter schlagartig mit Lebensmut erfüllt. Vier der sociae sprangen sogleich auf und begannen, ihre wenigen Habseligkeiten in kleine Bündel zu packen. Nur Rosa saß starr und stumm da, musterte stirnrunzelnd all jene, die es kaum erwarten konnten aufzubrechen.
» Vielleicht solltet ihr warten, bis es dunkel ist « , schlug sie schließlich vor. » Sonst bekommen zu viele Leute mit, dass ihr irgendwo hineinklettert, und wollen es euch gleichtun. «
Mabile nickte nach kurzem Zögern.
» Der Gang beginnt in einem halb verfallenen Gebäude bei der Stadtmauer, zwischen der Pòrta del Bourg und der Pòrta Narbonesa. Es ist eine recht verrufene Gegend. Anständige Menschen verirren sich dort für gewöhnlich nicht hin, aber es mag tatsächlich besser sein, bis zur Dämmerung zu warten. Nicolas holt uns dann alle ab. «
Sie schickte ihren Cousin mit einer Kopfbewegung hinaus, dann hockte sie sich neben Adelind auf den Boden und sah ihr eindringlich ins Gesicht.
» Ihr solltet mit uns kommen, Dòna. Wenn wir alle helfen, können wir auch die weise Ursanne durch den Gang bringen. Wir wären gerettet. «
Adelind schloss kurz die Augen und ließ voller Sehnsucht in ihrem Kopf jenes Bild entstehen, das Mabiles Worte für sie gemalt hatten.
» Ich gehe nicht fort « , hörte sie Ursanne leise sagen. » Als ich in dieses Haus einzog, wusste ich, dass ich hier sterben würde, und so soll es auch sein. «
» Nun, ich lasse mich auch nicht vertreiben, nicht von den Heuchlern Roms und ihren Bluthunden « , fügte Rosa sogleich hinzu. Für einen kurzen Augenblick wurde das hektische Packen der anderen sociae langsamer, als müssten sie nachdenken, doch erklang kein weiterer Wunsch zurückzubleiben. Hildegard hielt Lutz weiter fest umklammert.
» Kann auch eine Katze mitkommen? « , wandte sie sich an Mabile, die mit den Schultern zuckte.
» Wenn jemand sie tragen kann. «
Adelind spürte den Blick ihrer Schwester wie eine Berührung.
» Bitte « , flüsterte Hildegard. » Lass uns einfach fortgehen. Ich ertrage diese Enge nicht mehr. Die Angst. Das Warten. «
Adelind vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihr war, als würde sie in zwei verschiedene Richtungen gezerrt, sodass ihr Körper zu zerreißen drohte.
» Meine Mutter « , verkündete plötzlich Olivettes leise Stimme. » Sie fände es vielleicht feige, so einfach fortzulaufen. «
Nun fuhr Adelind zornig herum.
» Sie würde dich sicher gern lebend wiedersehen! «
Hildegard warf ihr einen auffordernden Blick zu. Adelind holte nochmals Luft. Vielleicht gab es eine Lösung.
» Bringe heute Abend alle sociae fort, die gehen wollen « , wandte sie sich an Mabile. » Ich werde mit dem Vescomte reden und ihm sagen, dass es eine Möglichkeit gibt, die Mitglieder der ecclesia Dei in Sicherheit zu bringen. Er sollte es wissen, wenn er mit unseren Feinden verhandelt. Falls ich sein Einverständnis bekomme, dann gehe ich auch, doch werde ich versuchen, so viele Menschen mitzunehmen wie möglich. «
Sie lehnte sich zurück, musterte Ursanne, die zustimmend nickte, und auch Rosas hageres, strenges Gesicht. Niemand widersprach.
» Na gut « , rief Mabile und drehte sich schwungvoll auf den Fersen. » Heute Abend kann die erste Hälfte gehen. Morgen die nächste, wenn sie will. Ich erkläre es Nicolas, der euch dann abholt. «
Sie war blitzschnell verschwunden.
Hildegard, Rosa und Olivette räumten emsig auf, während Adelind die Verletzten mit Nahrung versorgte. Sie erzählte ihnen, die sieben verschwundenen sociae seien vom Vescomte in einem anderen Gebäude untergebracht worden, und ging davon aus, dass Gott der Herr ihr diese notwendige Lüge erst einmal verzeihen würde. Sobald sie mit dem Vescomte gesprochen hatte und auch mit dem Diakon aus der domus der Brüder, würde sie wissen, wie viele Menschen von dem geheimen Gang erfahren durften. Von den Verletzten vermochten die meisten bereits selbstständig zu laufen, was Adelind Hoffnung gab. Der alte Mann, dessen linkes Bein unbeweglich war, und das kleine, stets nervös zuckende und manchmal schreiende Mädchen konnten vielleicht auch durch einen Tunnel kriechen,
Weitere Kostenlose Bücher