Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
wirklich, allein mein Anblick macht die Männer verrückt? Sie schauen den Frauen, die sie bei einer Plünderung schänden, vermutlich nicht einmal ins Gesicht. «
Adelind musste widerwillig einsehen, dass ihre Schwester in diesem Fall vermutlich recht hatte.
» Ich wollte dich in Sicherheit wissen « , gab sie etwas kleinlaut zu, denn ihre Behauptungen, nur noch Gleichgültigkeit für Hildegard zu empfinden, wurden dadurch als Lügen enttarnt.
» Und du selbst wolltest alles allein meistern wie immer « , warf ihre Schwester sogleich ein. » Aber ich möchte eben bei dir bleiben, auch wenn ich keine besondere Hilfe bin. «
Adelind zögerte einen Moment, dann ergriff sie seufzend Hildegards Hand. Ihr fehlte die Kraft zu einer längeren Auseinandersetzung.
» Na gut, dann gehen wir schlafen und warten ab, was morgen geschieht. «
Sie vermochten beide keinen Schlaf zu finden, sprachen aber auch nicht miteinander, sondern wälzten sich unruhig herum, stets bemüht, einander dabei nicht zu berühren. Zur hora prima hörten sie Schritte, Hufgetrappel und Worte aus der Gasse in ihre Kammer dringen, was vielleicht davon zeugte, dass Agnès de Monpeslier nun zu Verhandlungen aufgebrochen war. Adelinds Finger formten angespannte Fäuste. Sie ertappte sich dabei, dass sie wieder die Worte des Stabat Mater zu summen begann, denn es fiel ihr leichter, eine andere Frau um Beistand anzuflehen als einen fernen Gott, der diese Welt nicht einmal erschaffen haben sollte. Kurz fiel sie in warmes, erlösendes Dunkel, dann schreckte lautes Trommeln gegen die Tür der Kammer sie wieder auf.
» Dòna, Herolde laufen durch die Stadt. Wir müssen alle fort! «
Mabile schnaufte, als sie hereinkam, gefolgt von einer kreidebleichen Olivette. Zum ersten Mal, seit Adelind sie kannte, schien die einstige Gaunerin außerstande, das Leben mit frecher Gelassenheit anzugehen.
» Wo sollen wir denn hin? « , fragte Hildegard.
» Fort. Aus der Stadt. Wir dürfen nichts mitnehmen und sollen nur unsere Unterkleider tragen. Beeilt Euch, sobald die hora tertia anbricht, wird das Heer in die Stadt einziehen. Wer sie vorher verlassen hat, dem wird nichts geschehen. Das haben sie der Vescomtessa versprochen. «
Adelind stand langsam auf. Jedes ihrer Glieder schmerzte nach der schlaflosen Nacht, während sie versuchte, die Neuigkeiten so schnell wie möglich zu erfassen.
» Sollten wir nicht doch besser durch den Gang kriechen? « , fragte Hildegard unschlüssig. Mabile schüttelte den Kopf.
» Das würde zu lange dauern. Außerdem wird Nicolas den Ausgang zuschütten, sobald er die Neuigkeiten erfährt, damit niemand der Eindringlinge den Eingang finden und sich auf seine Spur machen kann. «
» Aber er weiß doch, dass du noch hier bist. Will er dir jede Möglichkeit zur Flucht nehmen? « , wollte Olivette verwirrt wissen. Mabile biss sich auf die Lippen.
» Er sagte mir gestern Abend, dass dies meine letzte Gelegenheit wäre, die Stadt zu verlassen. Und ich beschloss zu bleiben. «
Adelind griff nach ihrem Kopftuch, doch Mabile hob die Hand, um sie zurückzuhalten.
» Auch das dürfen wir nicht. Nur die Untergewänder. Und jetzt müssen wir uns beeilen, um Ursanne und die Leute im Spital zu wecken. Sie können nicht alle ohne Hilfe laufen. «
Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als brenne der Boden unter ihren Sohlen. Adelind zwang ihr ausgelaugtes Gehirn zu klaren Gedanken. Sie mussten die Stadt verlassen. Nur in ihrer Unterkleidung, was bedeutete, dass Katharer nicht an ihren dunklen Gewändern zu erkennen wären. Plötzlich lachte sie laut auf und ignorierte alle fassungslosen Blicke. Agnès de Monpeslier hatte Wort gehalten.
» Gut « , sagte sie nun völlig ruhig. » Dann machen wir uns zum Aufbruch bereit. «
Es war eng auf den Gassen, aber niemand drängelte, und abgesehen vom klagenden Schreien kleiner Kinder blieb es erstaunlich, fast gespenstisch still. Manchmal meinte Adelind, ein Schluchzen zu vernehmen, doch war dies ein sehr leiser, in sich gekehrter Ausdruck von Schmerz. Sie schritten mit gesenkten Köpfen voran, den Blick auf Pflastersteine und ausgedörrte Erde gerichtet, um nicht die bloßen Rücken vor sich wahrnehmen zu müssen. Der Diakon der Brüder war mit seinen in der Stadt verbliebenen Gefolgsleuten gekommen, um den Frauen beizustehen, doch tat es fast weh, diese einst so würdevoll wirkenden frommen Männer nun als ausgemergelte, blasse, knochige Gestalten in einer Bruche zu sehen. Adelind selbst
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