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Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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hatte die Hände vor der Brust verschränkt. Zwar war sie bereits seit etlichen Tagen nur in ihrem Unterkleid herumgelaufen, doch fühlte ihr Haupt sich ohne Kopftuch völlig nackt an. Sie konnte sich nicht vorstellen, es jemals genossen zu haben, ihr Haar den Strahlen der Sonne entgegenzuhalten, denn auf einmal war ihr Kopf nur noch schutzlos einer erbarmungslosen Welt ausgeliefert. Neben ihr ging Hildegard, deren blonde Strähnen noch heller schienen, als Adelind sie in Erinnerung hatte. Vorsorglich schob sie die Schwester in die Mitte einer schützenden Menschentraube, damit sie den jenseits der Stadtmauern lauernden Männern nicht zu sehr ins Auge stach. Hinter ihnen schritten Mabile und Samuel, die sich nun ganz ohne Zurückhaltung an den Händen hielten. Rosa und Olivette stützten gemeinsam Ursanne, die erst durch gemeinsames Flehen aller verbliebenen sociae dazu gebracht worden war, die domus zu verlassen.
    » Und was ist, wenn dein Bruder uns nicht aufnehmen kann? Was machen wir dann, auf der Straße betteln? « , vernahm Adelind eine schrille, nörgelnde Frauenstimme. » Gleich als der ganze Ärger losging, habe ich gesagt, wir sollen Carcassona verlassen, anstatt auf die Versprechen dieses edelmütigen Vescomte zu hören, der am Ende doch nichts ausrichten konnte. «
    Adelind fuhr herum. Sie sah eine kleine, dürre Frau an der Seite eines schwabbeligen, aufgedunsenen Mannes mit elend gekrümmten Schultern ein Stück neben ihr gehen.
    » Der edelmütige Vescomte hat bewirkt, dass wir alle lebend die Stadt verlassen können! An anderen Orten wurden Menschen einfach niedergemetzelt « , zischte sie wütend. Die Frau zuckte zusammen, als sei sie geohrfeigt worden, und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Aus den schmalen, von Tränensäcken fast verborgenen Augen des Mannes erhielt Adelind jedoch einen dankbaren Blick. Sie erstarrte, da ihr plötzlich bewusst wurde, dass er kein Fremder war, sondern der Gewürzhändler, in dessen großem Ofen sie Brot für die domus gebacken hatten und der dafür bis zum Ende seinen Preis eingefordert hatte. Ihr war niemals zuvor bewusst geworden, wie sehr Kleidung das Erscheinungsbild eines Menschen beeinflusste, denn sie hatte ihn als großes, eindrucksvolles Fleischbündel in Erinnerung, das in scharlachroten, mit Hermelinfell gesäumten Tunikas steckte. Durch jahrelange Arbeit und messerscharfen Geschäftssinn hatte er ein Vermögen angehäuft, das seinen Kindern eine vielversprechende Zukunft und ihm selbst einen angenehmen Lebensabend schenken sollte. Nun schien das Schicksal für ihn das Bettlertum bereitzuhalten.
    Adelind lächelte ihn scheu an, doch vermochte sie keinen Trost zu spenden. Es hatte manchmal Vorteile, nichts zu besitzen.
    In diesem Augenblick sah sie, wie ein kleines Ausfalltor in der Nähe der Pòrta Narbonesa geöffnet wurde, durch das ein Lichtstrahl hereinfiel. Sie hielt den Atem an. Dies war der schmale, aber endlich offene Weg ins Freie, wo die Aude mit ihrem erfrischend kühlen Nass dahinfloss und eine endlose Weite von Wiesen und Feldern sich erstreckte. Am Horizont waren bei klarem Himmel manchmal die Konturen der Montagne Noire zu sehen, schenkten eine Ahnung von der wuchtigen Größe des Gebirges. Lange war sie sich nicht sicher gewesen, ob sie all dies jemals wieder würde erblicken können. Sie ergriff Hildegards Hand.
    » Nun kommen wir heraus « , flüsterte sie. » Es ist nur ein schmales Tor, mehr als zwei Leute passen nicht gleichzeitig hindurch, also wird es dauern. Aber dann sind wir frei. Wir gehen nach Pàmias und suchen Esclarmonde. Dann sehen wir weiter. «
    Sie erwog, dass die Gräfin vielleicht wusste, wo Peyres sich aufhielt. Hildegard erwiderte den Druck ihrer Finger, und sie gingen gemeinsam weiter. Adelind sah sich kurz um, um sicherzugehen, dass auch alle elf Verletzte, die sie im Spital hatte gesund pflegen können, ihr folgten. Sorgfältig zählte sie die entblößten Köpfe, sah, dass der humpelnde Mann sich auf einen Stock gestützt tapfer vorwärtsbewegte und das immer noch kränkelnde kleine Mädchen von einer anderen Frau getragen wurde. Sie würden es schaffen. Für einen Moment überkam Adelind ein Gefühl tiefer Zufriedenheit, als hätte sie in ihrem Leben dennoch etwas vollbracht.
    Die Schlange halb nackter, aller Besitztümer beraubter Menschen schob sich langsam ins Freie, verengte sich am Tor und gewann etwas an Umfang, als ein Teil von ihr hinausgeschlüpft war. Niemand sah die Aude, denn sie wurde von

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