Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
widersetzen, denn sie ahnte, dass er sie vielleicht auch aus ganz anderen Gründen im Rittersaal haben wollte.
Die Tür schwang auf. Adelind fand den Saal weitaus kleiner, als sie ihn in Erinnerung hatte, was wohl daran lag, dass er nun völlig vollgepfercht war. Männer saßen auf Bänken, Truhen und teilweise auch auf blankem Stroh, tranken Wein, aßen und debattierten. Sie erkannte den Stuhl mit den Löwenköpfen wieder, der nun von einem mittelgroßen, hageren Mann besetzt wurde. Sein Gambeson, ein gepolstertes Hemd, das Ritter unter ihrem Kettenhemd trugen, schien zu weit und ließ seine Hände in Ärmeln verschwinden. Die aus den Stiefeln herausragenden Beinlinge bedeckten kurze, wenn auch kräftige Beine. Schütteres Haar floh aus seiner hohen Stirn, und eine gekrümmte Adlernase verlieh seiner Erscheinung Majestät. Dann wandte sein Blick sich den Eintretenden zu, und ein Schauer lief über Adelinds Rücken, denn sie hatte selten so kluge, gleichzeitig harte und kalte Augen gesehen.
» Simon de Montfort, der Graf von Leicester « , flüsterte Dominique de Guzmán ihr zu. Adelind zwang sich, in die Knie zu gehen, obwohl jeder Muskel ihres Körpers sich dagegen sträubte. Sie hörte Dominique ihre Anwesenheit erklären. Sie sei eine der Gefangenen, die er zu Einsicht und Umkehr zu bewegen hoffte. Der Abt Arnaud Amaury, der unmittelbar neben dem Grafen von Leicester stand, warf ihr und auch Dominique einen spöttischen Blick zu. Ansonsten wurde Adelind kaum beachtet, da alle Männer in laute Gespräche verwickelt waren. Obwohl sie das Französische bei Weitem nicht so gut verstand wie inzwischen das Okzitanische, vermochte sie herauszuhören, dass sie debattierten, wie nun weiter zu verfahren sei. Einige Stimmen schlugen tatsächlich den Heimweg vor, da sie ihre Mission, den Ketzern und ihren Anhängern eine Lektion zu erteilen, nun zur Genüge erfüllt hätten und es in der Heimat andere Dinge zu erledigen gäbe. Ihr Dienst als Vasallen des französischen Königs hatte vierzig Tage zu dauern, und die waren abgelaufen. Adelind wurde auf einmal leicht, fast fröhlich zumute. Wenn der gefräßige Heuschreckenschwarm fortgezogen war, dann konnten sie aus den Trümmern neue Gebäude errichten, ihr altes Leben wieder aufnehmen und würden in Zukunft einfach nur vorsichtiger sein müssen.
Simon de Montfort widersprach mit Entschiedenheit. Adelind staunte, welch kraftvolle Stimme aus dem untersetzten Körper drang und wie mühelos es ihm gelang, Männer von kräftigerer Gestalt zu übertönen. In ihrem Kopf begann er zu einem gewaltigen Riesen heranzuwachsen, ein Mann wie ein Fels, der alles unter sich zermalmte, wenn er ins Rollen geriet. Sie hörte ihn die Grafschaften Foix und Tolosa nennen, während sich nun seine breiten, mit hellbraunem Haar bewachsenen Finger um die Löwenköpfe krallten. Er sprach von Ordnung und Disziplin, woran es diesem Land in bedauerlicher Weise mangelte. Sie war dankbar, dass Dominique de Guzmán sie auf eine umgekippte Kiste wies, auf der sie sich niederlassen konnte, denn ihre Beine drohten nun endgültig nachzugeben. Sie wollte nicht mehr dieselbe Luft atmen wie jener Mann, der alles zu zerstören gedachte, was sie im Languedoc zu lieben gelernt hatte.
Als Simon de Montforts Rede endlich zu Ende kam, ohne dass einer der anwesenden Ritter irgendwelche Einwände gegen seine Pläne erhoben hätte, begannen Dienstboten hastig wieder Wein einzuschenken und neue Speisen aufzutragen. Adelind entdeckte ein Brett mit Früchten und griff nach einem saftig roten Apfel. Sie sah den Grafen von Leicester die Hand heben, dann stand eine Gestalt, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, plötzlich aufrecht neben ihm, ein sehr großer Mann in karmesinroter Tunika und blütenreinen weißen Beinlingen, dessen krause Locken im Kerzenlicht blauschwarz schimmerten. Er war ein so viel angenehmerer Anblick als all die unrasierten Ritter in ihren schweißgetränkten Gambesons. Und er war ein Verräter.
Adelind spürte, wie die geschundene Stelle zwischen ihren Beinen wieder zu schmerzen begann. Sie wollte Peyres nicht für all diese Schlächter und Schänder spielen hören.
» Es ist nicht der Mann, den ich kannte « , flüsterte sie Dominique de Guzmán zu. » Ich habe mich getäuscht. Könnte ich jetzt bitte wieder zu meinen Gefährten zurück? Ihr müsst verstehen, als einzige Frau in diesem Saal fühle ich mich unwohl. «
Er nickte und erhob sich, um sie hinauszuführen. Kurz bevor sie durch
Weitere Kostenlose Bücher