Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Sie lebten nun als Bräute Christi und sahen nachts in ihren Träumen die gefälligen Gesichtszüge Dominique de Guzmáns auf dem Antlitz ihres himmlischen Bräutigams.
» Meiner Schwester und mir geschah großes Unrecht. Wir wurden mittellos aus dem Kloster gejagt « , erzählte sie, denn ihr schien, dass er die Wahrheit verdiente. Er fragte nicht nach, verlangte keine Erklärungen, sondern nickte nur.
» Sagt mir, was geschehen ist. Nennt mir die Schuldigen. Ich verfüge über einigen Einfluss in Rom. Ich werde dafür sorgen, dass Euch Gerechtigkeit widerfährt. «
Seine Stimme klang völlig ehrlich. Adelind glaubte ihm, dass er tatsächlich versuchen würde, Mutter Mechtildis und Pater Severinus Schwierigkeiten zu bereiten, doch schenkte diese Vorstellung ihr keine Befriedigung mehr. Es war alles zu lange her, ihr Leben hatte sich völlig verändert, und Carcassona war ihr neues Zuhause geworden.
» Nur weil in einem Fall Gerechtigkeit geschieht, so ändert sich nichts an den zahllosen anderen Vorkommnissen, da die Verlogenheit und Heuchelei des katholischen Klerus ungesühnt bleibt « , erwiderte sie nur. » Ihr müsst doch selbst wissen, wie es um Eure Kirche bestellt ist. «
Dominique de Guzmán fuhr auf. Sie ahnte, dass sie ihn nun ernsthaft verärgert haben musste, doch überkam sie keinerlei Furcht. Es gab nicht mehr viel zu verlieren.
» Wenn Übeltäter einmal bestraft werden, so schreckt dies andere Sünder ab. Ja, ich weiß, wie es um unsere Kirche mitunter bestellt ist, und ich bedauere dies. Mein Bestreben war es stets, die Zustände zu verbessern. «
Dem vermochte Adelind nichts entgegenzuhalten. Sie nippte nochmals an ihrem Weinbecher.
» Ihr seid nicht so verstockt wie diese Frau, die heute starb « , sprach Dominique de Guzmán weiter. » Ich achte Eure Klugheit und weiß, dass Eure Gefährten Euch schätzen. Ich bitte Euch, Dòna, helft mir dabei, weiteren Menschen einen qualvollen Tod und ewige Verdammnis zu ersparen. Überzeugt sie davon, ihrem Irrglauben abzuschwören. Dann kann ich Simon de Montfort und Arnaud Amaury an weiteren Bluttaten hindern, wenigstens in Carcassona. Wir könnten gemeinsam versuchen, hier eine wahrhaft gottesfürchtige Kirche aufzubauen. «
Adelind schwieg. Diese Worte klangen süß wie Honig, doch fürchtete sie auszurutschen, wenn sie ihnen vertraute.
» Meint Ihr denn wirklich, diese Welt sei ein Werk des Teufels, dem man so schnell wie möglich entfliehen müsse? Wollt Ihr sterben, so wie heute Eure Gefährtin starb? «
Adelind lehnte sich zurück. Sie wusste keine Antwort. Dieser Tag hatte ihr zu viel an Leid und Angst zugemutet, als dass sie wichtige Entscheidungen hätte treffen können.
» Bitte bringt mich nun zu meinen Gefährten zurück « , flüsterte sie nur.
Sie verbrachten eine weitere Nacht in dem Verlies, das erstaunlich leer schien ohne Rosas strengen, aufrechten Rücken, als habe die tote socia eine klaffende Lücke in jener kleinen Welt hinterlassen, die ihnen allen noch geblieben war. Diesmal regnete es nicht, die Luft kühlte kaum ab, und Mückenschwärme strömten durch die Fensteröffnung herein. Adelind hörte Olivette weinen, fand aber nicht mehr die Kraft, Esclarmondes Tochter zu trösten, da sie selbst völlig ausgezehrt war. Mabile und Samuel tuschelten bis zum Morgengrauen. Nur Hildegard schien immer wieder in kurzen, aber tiefen Schlaf zu fallen, zweimal geweckt von Lutz, der durch die Fensteröffnung hereinsprang, um ihnen einen weiteren Besuch abzustatten. Adelind wünschte sich nochmals sehnlichst, sich einfach in eine Katze verwandeln zu können, die kommen und gehen konnte, wie es ihr gefiel.
Im ersten Morgengrauen erhielten sie nochmals Brot, Wasser und ein paar Speckscheiben, die Hildegard für Lutzs nächsten Besuch aufhob, da auch Samuel sich weigerte, sie zu essen. Mabile warf manchmal gierige Blicke an jene Stelle, wo Hildegard den Korb ihrer Katze abgestellt hatte und wo sich nun auch deren Futter verbarg. Adelind ahnte, dass sie sich nach dem Speck verzehrte, denn die Essensrationen fielen zunehmend mager aus. Kurz war sie versucht, Mabile die Erlaubnis zum Fleischverzehr zu erteilen, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Bestimmte Grenzen mussten gewahrt werden, das waren sie allein schon Rosa und deren unerschütterlichem Mut schuldig.
Bald schon öffnete sich die Tür erneut, und zwei Wachmänner traten ein. Adelind fuhr zusammen, als sie die stämmigen Schultern und das breite Gesicht von jenem Gaston
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