Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
erkannte, der sie gestern gegen die Mauer des Ganges gedrückt hatte. Nun also kam er, um sie wieder zu holen. Sie zweifelte nicht, dass nach Rosa nun sie selbst zum Verhör geführt werden würde, Dominique de Guzmán hatte ein besonderes Interesse an ihr. Sie zog sich panisch in eine Ecke zurück, obwohl es keinerlei Aussichten auf eine Flucht gab. Hildegard streckte die Arme nach ihr aus, als wolle sie den hoffnungslosen Versuch wagen, sie vor den Bütteln zu schützen.
Aber es war nicht Adelind, die gepackt und hinausgezerrt wurde, sondern Mabile. Sie sah das Mädchen zappeln und mit den Zähnen nach den Händen der Wachmänner schnappen, doch brachte ihr dies nur ein paar grobe Tritte ein. Samuel sackte stumm in sich zusammen, als die Tür hinter ihr zugefallen war. Olivette begann erneut zu weinen, sodass Hildegard sich nun ihrer annahm. Adelind vermochte nur das dicke Holz der Tür anzuschauen, hinter dem am vorgestrigen Tag auch Rosa verschwunden war, um nicht mehr zurückzukommen. Hatten die zwei Kerle Mabile geholt, weil sie noch jung und hübsch war und zudem von keinerlei Bedeutung für Dominique de Guzmán? Sie lauschte angespannt, vermochte zu ihrer Erleichterung keinerlei Schreie zu vernehmen, doch mochte dies nicht viel bedeuten. Sie wusste nicht, wo die Verhöre stattfanden und ob Mabile wirklich dorthin gebracht worden war. Ihnen allen blieb nichts übrig, als abzuwarten, ob sie auch diese socia erst wieder zu Gesicht bekämen, wenn sie zu ihrer Hinrichtung geführt wurden.
Gegen die Mittagszeit öffnete sich die Tür erneut. Sie rechneten damit, nun weiteres Essen zu erhalten, wurden aber enttäuscht. Es waren nochmals die zwei Wachmänner, die nun den schreckensstarren Samuel ergriffen. Er leistete keinerlei Widerstand, lag nur leblos wie ein Stein am Boden, sodass es die Büttel einige Kraft kostete, ihn in die Höhe zu hieven.
» Er hat mit alldem nichts zu tun. Er ist Jude. Und was ist mit Mabile, was geschieht mit ihr? « , rief Olivette auf einmal aus. Adelind staunte, wie kräftig die Stimme des sonst so scheuen Mädchens klang, doch schenkten die Männer ihr keinerlei Beachtung. Auch Samuel verschwand hinter der schweren Tür, die den Rest der Welt aussperrte.
» Werden sie nun alle beide töten? « , flüsterte Olivette mit den riesengroßen Augen eines verängstigten Rehs. » So wie Rosa? Samuel kann doch nichts dafür, er geriet durch Zufall zu uns, und Mabile, die… die… also, sie sagte immer, dass sie lieber keusch leben wollte, als in einem Hurenhaus zu enden wie ihre Mutter. Das ist doch kein Verbrechen. «
Sie starrte ratlos zu Hildegard und dann zu Adelind, als erwarte sie gerade von der Vertrauten ihrer Mutter eine Antwort, die ihr den Glauben an eine gerechte Welt erhalten konnte. Adelind schwieg. Sie fühlte sich so unsäglich müde seit dem gestrigen Tag, als habe das Wissen um Peyres’ Verrat sie noch mehr entmutigt als Rosas qualvoller Tod.
» Wir müssen abwarten, was geschieht, und auf Gott vertrauen « , versuchte Hildegard nun, Olivette zu beruhigen. Adelind dachte, dass Gott sich nicht um eine Welt scherte, die er nicht selbst erschaffen hatte, denn sonst wäre er dem tapferen Vescomte de Trencavel doch durch ein paar Regenschauer zu Hilfe gekommen. Im Grunde, so erkannte sie mit einem bitteren Auflachen, war all dies, was ihnen nun widerfuhr, der klarste Beweis, dass die Katharer die Bibel auf die richtige Weise auslegten, denn an einen Gott, der das mordende Heer der Kreuzfahrer unterstützte, weigerte sie sich zu glauben.
Es begann bereits zu dämmern, und sie hatten ein weiteres karges Mahl aus Wasser und Brot erhalten, das nun steinhart war. Es schien, als wolle man sie auch durch immer schlechtere Nahrung zermürben, erwog Adelind. Hildegard tunkte das Brot in den Wassereimer und biss dann hinein. Olivette folgte nach einigem Zögern ihrem Beispiel. Beide kauten freudlos. Adelind vermochte nicht zu essen. Sie sah wieder ein mageres, zerlumptes Mädchen vor sich, dessen Gesicht von Schmutz und Ausschlag bedeckt war. Einst hatte sie gedacht, Mabile zu helfen, indem sie ihr ein frommes Leben in der domus ermöglichte. Aber in Wahrheit hatte sie Mabile in den Tod geschickt, denn wäre das Mädchen eine kleine Bettlerin und vermutlich auch Taschendiebin geblieben, dann wäre sie nun ebenso frei wie ihr Gauner von Cousin.
Sie hatten sich schon zum Schlafen niedergelegt, als die Tür nochmals aufging. Diesmal erschienen weder Wächter noch Bedienstete mit
Weitere Kostenlose Bücher