Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
über den Rücken. Sie befreite ihren Fuß mit einem heftigen Ruck aus dem Griff, um rasch weiterzulaufen.
» Die erste Nonne war viel großmütiger « , kreischte der Bettler in ihrem Rücken.
» Ich bin keine Nonne mehr « , entgegnete Adelind und tat einen weiteren Schritt.
» Das sagte sie auch… das sagte sie auch… aber ihr Herz war mitfühlend. Das Eure ist aus Stein, seid verdammt in alle Ewigkeit « , krächzte der Bettler unbeirrt. Adelind erstarrte und wandte sich wieder um.
» Von wem redest du? «
Das Bündel robbte mit erstaunlicher Geschwindigkeit an sie heran, um nun beide ihrer Füße mit schmutzigen Klauen zu umschlingen.
» Von der Maid mit dem Gesicht der heiligen Jungfrau. Sie gab mir zwei Silberpfennige, doch sie wurden mir gestohlen. «
Adelind ging in die Hocke. Im Mondlicht erblickte sie ein ausgemergeltes Gesicht mit vereiterten Augen. Als der Mund sich öffnete, war er eine stinkende, zahnlose Höhle.
» Sie war so schön, die Maid. Rein wie die heilige Jungfrau, gesegnet sei sie. Ich träumte die ganze Nacht von ihr. Sie weinte, ich wusste nicht weshalb. Ihr Herz war groß. Sie gab mir so viel, doch die Welt ist schlecht… sie ist verdammt… Der Teufel hat gesiegt… Bald sterben wir alle… Gott möge Erbarmen mit uns elenden Sündern haben… «
» Wohin ging sie, deine schöne Maid? « , unterbrach Adelind und überwand ihren Widerwillen, da sie eine Hand auf die knochige Schulter des Bettlers legte.
» Wohin sie ging, weiß Gott der Herr… Ich bin arm… ich habe Hunger… «
Adelind verstand. Sie griff in ihren Beutel und zog einen Silberpfennig heraus.
» Hier. Pass jetzt besser darauf auf. Und sag mir, wo ich die schöne Maid finde. «
Eine Klaue ergriff die Münze und ließ sie verschwinden. Übelriechender Atem umwehte Adelinds Gesicht.
» Ich zeigte ihr den Weg zur Hütte, wo ein Feuer brennt. Sie war so schön… so gütig… «
Der Bettler wies in eine Richtung, die von der breiten Straße wegführte. Adelind richtete sich auf. Vielleicht war es der Weg in ihr Verderben, aber sie hatte keine andere Möglichkeit, als dieser vagen Andeutung zu folgen.
Eine Weile lief sie durch bewaldete Finsternis, stolperte über Baumwurzeln und musste all ihre Kraft aufwenden, um sich aus der tödlichen Weichheit des Schnees zu befreien, in der sie immer wieder versank. Irgendwann schimmerte zwischen den Bäumen endlich ein Licht auf, das sie flackernd lockte. Vielleicht war es eine von Dämonen herbeigezauberte Falle für ahnungslose Sterbliche. Vielleicht eine Räuberhöhle, was wahrscheinlicher schien. Doch die Sehnsucht nach einem warmen, windgeschützten Ort trieb Adelind vorwärts. Wenn sie nicht bald einen Unterschlupf fand, würde sie diese Nacht nicht überleben.
Strauchelnd sank Adelind in eine kleine Hütte, wo ein Feuer prasselte. Vom Licht geblendet eilte sie der Wärme entgegen, doch wurde sie erbarmungslos zurückgestoßen. Ungefähr ein Dutzend zerlumpte Gestalten kauerten bereits um die Flammen. Der Gestank von Schweiß und Unrat erschwerte das Atmen.
» Welch unerwarteter Besuch! Wie heißt das schöne Mädchen? « , krächzte eine raue Stimme. Lautes Grölen folgte.
» Nicht übel, die Kleine. Sie soll uns die lange Winternacht versüßen. «
Wieder legten sich Hände um ihre Beine. Adelind zappelte, aber diesmal schaffte sie es nicht, sich freizukämpfen. Man drückte sie zu Boden. Jemand griff unter ihren Rock. Sie warf sich zur Seite und wurde von anderen Fingern beschmutzt. Verzweifelt bäumte sie sich auf, um ihren Zorn in die Welt zu brüllen.
» Jetzt lasst den Unsinn! Sie soll sagen, wer sie ist und was sie hier will « , unterbrach ein tiefes Brummen ihr Protestgeschrei. Die Hände zogen sich langsam zurück. Adelind kam mühsam wieder auf die Beine.
Ein großer, dürrer Mann mit einem Rauschebart stand mitten im Raum. Er trug eine völlig zerschlissene Kutte, doch seine Haltung war die eines Königs.
» Was führt dich hierher? « , fragte er barsch.
Adelind knickste.
» Ich suche meine Schwester « , erklärte sie. Zahllose Augenpaare bohrten sich in ihren Körper. Und dann hörte sie die vertraute helle Stimme.
» Adelind! Was machst du hier? «
Hildegard kauerte in einer Ecke. Ihr Gesicht war so schmutzig, dass man sie nicht von den Bettlern unterscheiden konnte. Adelind wollte auf sie zueilen, doch zu viele Menschen versperrten ihr den Weg.
» Also noch eine « , knurrte der Bettlerkönig. » Wie viele von euch sollen wir denn in
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